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P o s i t i o n Bilanz des Europäischen RatesEU-Gipfel vom 19.-20. Juni 2003 Von Dr. Claus Giering und Florian Neuhann - 27. Juni 2003
I. Tagesordnung und KernergebnisseDer Abschlussgipfel der griechischen Ratspräsidentschaft fand auf der Halbinsel Chalkidiki im gut abgeschirmten Porto Karras in der Nähe von Thessaloniki statt. Auf der Tagesordnung standen vier Schwerpunkte:
Die wichtigsten Ergebnisse des Gipfels im Überblick:
II. VerfassungDie Staats- und Regierungschefs begrüßten den Konventsentwurf in ihrer Abschlusserklärung als "gute Ausgangsbasis für die bald beginnende Regierungskonferenz". Einige Mitgliedstaaten meldeten aber bereits deutliche Vorbehalte gegen einzelne Bestandteile des Verfassungsentwurfs an.
Auch Großbritannien hat schon mal mit Blick auf die Regierungskonferenz vorgebaut, indem Blair erklärte, dass es nicht "auf sein unabhängiges und souveränes Recht zu verzichten, sein Steuerpolitik, seine Außenpolitik, seine Verteidigungspolitik und seine eigenen Grenzen zu bestimmen". Belgien, Deutschland, Frankreich und die Türkei hingegen präsentierten sich weit gehend uneingeschränkt als Befürworter der vorgelegten Verfassung, vor allem auch im institutionellen Bereich. Ab 15. Oktober 2003 soll nun eine Regierungskonferenz unter dem Vorsitz der italienischen Ratspräsidentschaft auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs sowie der Außenminister über den Verfassungsentwurf beraten. Italien wünscht sich den Abschluss der Regierungskonferenz bis zum Dezember 2003 ("von Rom bis Rom"). "Kurz, knackig, intensiv und ergebnisorientiert", wie sich Außenminister Fischer ausdrückt. Unterzeichnet werden soll die neue Verfassung dann so rasch wie möglich nach Beitritt am 1. Mai 2004 und noch vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2004. Trotz der Einwände mancher Mitgliedstaaten kann hoffentlich eine rasche Einigung auf der bestehenden Grundlage erzielt werden. Die folgende Regierungskonferenz sollte den Verfassungsentwurf nicht noch einmal grundlegend überarbeiten, auch wenn dies bedeutet, dass dringend notwendige Verbesserungen wie die Einführung von qualifizierten Mehrheitsentscheidungen in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik oder die Optimierung der Ratsstrukturen nicht realisiert werden Entscheidend wird sein, wie sich die jeweilige Mehrheit gegenüber den spezifischen Änderungswünschen aus Spanien, Polen, Österreich und anderen Staaten durchsetzen kann. Auch Konventspräsident Giscard d'Estaing warnte vor Neuverhandlungen: "Ich glaube nicht, dass Sie weiter vorankommen". III. Migration / GrenzsicherungEinmal mehr betont der Europäische Rat in seiner Abschlusserklärung den "dringenden Bedarf für eine strukturiertere Politik der EU" im Bereich der Innen- und Justizpolitik. Beschlossen wurde folgendes:
Neben diesen konkreten Beschlüssen enthält die Abschlusserklärung des Europäischen Rates eine Reihe von Absichtserklärungen. So bestätigten die Staats- und Regierungschefs ihre Verpflichtung zu einer gemeinsamen Asylpolitik und ermahnten den Ministerrat, bis Ende 2003 die immer noch ausstehenden grundlegenden Rechtsakte (etwa zu den Minimalstandards für die Qualifikation als Flüchtling) zu verabschieden. Außerdem strebt die EU erstmals gemeinsame Instrumente zur Steuerung der legalen Immigration an. Trotz der getroffenen Entscheidungen wurde erneut deutlich, dass die Asyl- und Migrationspolitik weiterhin stark von nationalen Befindlichkeiten dominiert. Dies betrifft vor allem auch die Bereiche der illegalen und legalen Immigration. Hier fand die britische Idee der außereuropäischen Transitabwicklungszentren keine Mehrheit. Die Einrichtung von Asyllagern außerhalb Europas wäre aber auch ein falsches Signal gewesen, solange vollkommen offen ist, wie und inwieweit in solchen Lagern die Menschenrechte und speziell das Recht auf ein faires Asylverfahren geachtet werden können. IV. Europäische Sicherheitsstrategie und gemeinsame AußenpolitikDer Europäische Rat begrüßte das vom Hohen Vertreter für die Gemeinsame Außen- Sicherheitspolitik, Javier Solana, vorgelegte Sicherheitskonzept. Der Entwurf umfasst folgende Schwerpunkte:
Solana soll auf dieser Basis seine Arbeit fortführen und bis Dezember 2003 eine europäische Sicherheitsstrategie erarbeiten. Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg stellten den restlichen Mitgliedern des Europäischen Rats die Ergebnisse ihres Gipfels zur Europäischen Verteidigungsunion vom 29. April vor. Zudem wurde der Iran aufgefordert, ein Zusatzprotokoll mit der Internationalen Atomenergieagentur zu unterzeichnen, sowie Nordkorea ermahnt, sein Atomprogramm nachprüfbar abzubauen. Die einhellige Aufnahme des Sicherheitskonzepts und der Wille der Staats- und Regierungschefs, eine eigenständige Sicherheitsstrategie auszuarbeiten, ist absolut positiv zu verbuchen. Nur so hat die Europäische Union eine Chance, sich als eigenständiger Akteur in der internationalen Politik zu profilieren. V. EU-BalkangipfelAm 21. Juni schloss sich noch der EU-Balkangipfel an. Die EU stellt den fünf Ländern des westlichen Balkan - Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien und Montenegro - einen Beitritt zur Union in Aussicht, nennt jedoch kein Datum. Vorbedingung sind jedoch die Erfüllung der Kopenhagener Beitrittskriterien sowie der Bedingungen des Stabilitäts- und Assoziationsprozesses, vor allem aber weitere Anstrengungen in den Bereichen Menschenrechte, Kriminalität, Korruption, eine weitere Demokratisierung und die Modernisierung der Volkswirtschaften. Die EU verlangt ethnische Versöhnung und Annäherung zwischen den ehemaligen Teilrepubliken Jugoslawiens. Dafür stockt sie die Förderung des Stabilisierungsprozesses um 200 Millionen Euro auf (bereits jetzt sind 4,6 Milliarden bewilligt, vgl. NZZ, 23. 6. 2003, S. 1). Kommissionspräsident Prodi sagte, der Erweiterungsprozess sei damit "unwiderruflich in Gang gesetzt". Der Fortschritt jedes Landes würde einzeln bemessen. Kroatien, das bereits einen Aufnahmeantrag gestellt hat, könnte dadurch bereits eher - etwa gemeinsam mit Bulgarien und Rumänien - beitreten. In der gemeinsamen Erklärung verpflichteten sich die Balkanstaaten auch, das Internationale Adhoc-Tribunal für die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien sowie den ständigen Internationalen Strafgerichtshof vorbehaltlos zu unterstützen. Ungeachtet dessen hatten Albanien (bereits ratifiziert) und Bosnien-Herzegowina Abkommen mit den USA zur Nichtauslieferung US-amerikanischer Soldaten an den IStGH unterzeichnet. VI. Weitere Themen
VII. GesamtbewertungDie Bilanz des Gipfels von Thessaloniki fällt insgesamt positiv aus. Thessaloniki war einer der wenigen Gipfeltreffen der letzten Jahre, das nicht von einem eskalierenden außenpolitischen Konflikt überlagert wurde. Die Staats- und Regierungschefs konnten sich - im Gegensatz etwa zum letzten Gipfel in Brüssel - ausreichend Zeit nehmen, um die Arbeit des Konvents zu würdigen. In den anderen Themenfeldern, vor allem im Bereich Innen- und Justizpolitik wurden die Hausaufgaben weit gehend gemacht. Mit der einmütigen Annahme der Grundthesen von Javier Solana wurde eine wichtige Weichenstellung in der Außen- und Sicherheitspolitik vorgenommen. Weniger erfolgreich war das von der griechischen Ratspräsidentschaft entwickelte Sicherheitskonzept für den Gipfel selbst. Griechenland hatte eine Doppelstrategie bei der Gipfelorganisation entwickelt: Gastfreundschaft für friedliche Demonstranten (Zeltlager, Pressezentrum, Stadion für Kundgebungen, freie Fahrt im Nahverkehr); massives Polizeiaufgebot gegen Gewaltbereite. Dennoch kam es am Rande des Gipfels - der extra aus Thessaloniki nach Porto Karras verlegt worden war - mehrfach zu schweren Ausschreitungen von Randalierern und Straßenschlachten mit der Polizei. Das soll aber die Leistung der ansonsten doch sehr erfolgreichen griechischen Ratspräsidentschaft nicht schmälern. Links
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