![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
P o s i t i o n Von der Meinungsbildung zur KonsensfindungDer Konvent vor seiner zweiten Arbeitsphase Von Werner Weidenfeld - 11. September 2002Der EU-Konvent geht nun in die zweite und entscheidende Runde. Als Novum in der Geschichte der Vertragsreformen hat der Konvent eine enorme Aufgabe übernommen: Offen, demokratisch und in der parlamentarischen Tradition stehend, soll er Reformvorschläge unterbreiten, die einerseits die Union auf die Zukunft und die Erweiterung vorbereiten und die andererseits über breite Gruppen hinweg konsensfähig sind. Eingerichtet als Antwort auf die Frage nach der Finalität Europas und auf das vielfach beklagte Demokratiedefizit im europäischen Reformprozess, muss er nun zeigen, in welche Richtung er Europa führen will. Wir befinden uns in einer einzigartigen Konstellation, die Grundsatzentscheidungen unabdingbar macht:
Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, sollte sich der Konvent ambitionierte Ziele setzen: Europa muss sich über eine Schicksalsgemeinschaft hinaus zu einer Erfolgsgemeinschaft entwickeln. In der Vergangenheit hat das Projekt Europa gezeigt, dass Visionen Wirklichkeit werden können. Gleichzeitig wird der ständige Begründungsdruck für die europäische Integration nicht nur erhalten bleiben, sondern weiterhin zunehmen. Aufbauend auf den Integrationsleistungen der Vergangenheit muss Europa deshalb in den Köpfen und Herzen seiner Bürger als eine Gestaltungsmacht verankert werden, die einen entscheidenden Beitrag zur Zukunftssicherung leisten kann. Eine solche lebendige Erfolgsgemeinschaft müsste sich durch folgende Komponenten auszeichnen:
Der Konvent kann die institutionellen und strukturellen Voraussetzungen für eine solche Erfolgsgemeinschaft schaffen. Er steht damit vor zwei großen Aufgaben: Er hat in der Anhörungsphase eine Vielzahl von Anregungen für die verschiedenen Politikbereiche gesammelt. Nun wird es entscheidend darauf ankommen, wie es dem Konvent gelingt, diese Vorschläge in seine Arbeit zu integrieren, aber dennoch ein schlüssiges Reformkonzept zu entwickeln. Gleichzeitig muss der Konvent sicherstellen, dass seine Ergebnisse den zentralen Referenzpunkt der Regierungskonferenz bilden. Diese Herausforderungen generieren einen hohen Erfolgsdruck. Als Antwort darauf darf der Konvent nicht bloß den kleinsten gemeinsamen Nenner althergebrachter Art suchen. Vielmehr sollte er den Mut haben, neue und schlüssige Konzepte vorzuschlagen. Trotz vieler positiver Anregungen hat sich aber bisher noch keine ausreichende Dynamik entwickelt, die die Arbeit des Konvents nach vorne trägt. Nur wenn der Konvent eine tiefgreifende Strategiedebatte führt und sich politische Führung auch selbst zutraut, kann er zur eigentlichen Schaltzentrale im Reformprozess werden. Wichtig wäre, dass sich eine 'Erfolgserwartung' für den Konvent von Seiten der Bürger, der Konventsmitglieder wie auch der Regierungschefs aufbaut. Die erste Beratungsrunde des Konvents weist in die richtige Richtung. So zeigten sich in den Plenardebatten bereits wichtige Ansatzpunkte für einen Konsens. Die Mehrheit der Konventsmitglieder stimmt darin überein, dass kein Optionspapier, sondern ein einheitlicher Text, der als Grund- oder Verfassungsvertrag bezeichnet werden kann, die Konventsarbeiten krönen sollte. Die inzwischen eingerichteten zehn Arbeitsgruppen decken mit ihren Themenstellungen im Wesentlichen die Elemente eines Verfassungsvertrages ab. Allerdings muss die derzeitige Agenda noch um zwei Schlüsselfragen ergänzt werden, die sich auch in den Arbeitsgruppenstrukturen widerspiegeln sollte:
Der Konvent bietet nun die Chance, den europäischen Reformprozess im Einklang mit parlamentarischen Traditionen und unter breiter Bürgerbeteiligung voranzutreiben. Diese Chance darf nicht ungenutzt bleiben. Sollte dieses neue Verfahren scheitern, drohen düstere Alternativszenarien Wirklichkeit zu werden: die Wiederkehr des Nationalismus, die Erosion der Union und die Entsolidarisierung des Gemeinschaftswerkes. Die Geschichte unseres Kontinents zeigt, dass Krisen und Katastrophen jederzeit möglich sind. Die Europäer sind daher gut beraten, mit Hilfe des Konvents die kulturelle Leistung einer zukunftsfähigen Verfassungsordnung für Europa zu erbringen. |