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Europäische Rundschau,
31.Jg., H. 3 (2003): 131-138
Stand und Steuerung der Transformation:
Südosteuropa im Vergleich mit Ostmitteleuropa
Von Martin Brusis
Gemeinsamkeiten der staatssozialistischen Herrschaftssysteme und parallele Umbruchssituationen
dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Länder Osteuropas
durch unterschiedliche historisch-kulturelle Erbschaften geprägt sind und im Verlauf
der neunziger Jahre verschiedene Entwicklungspfade beschritten. Untersucht man den Entwicklungsstand
der politischen und ökonomischen Transformationsprozesse, so werden innerhalb der
Region Unterschiede sichtbar, die auf die historisch-kulturelle Grenzlinie zwischen
Ostmitteleuropa und Südosteuropa verweisen. Die acht ostmitteleuropäischen
Länder, also Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn zusammen mit den baltischen
Staaten und Slowenien haben die besonderen Transformationsherausforderungen in der Region
weitgehend bewältigt. Ausdruck und Anerkennung ihres Erfolges ist zweifellos der
Beitritt zur Europäischen Union am 1.5.2004.
Die sieben südosteuropäischen Länder dagegen erlebten eine langwierige,
von Verzögerungen und Rückschlägen begleitete Transformation. In Bulgarien
und Rumänien erwiesen sich die alten Eliten als wesentlich beharrungsfähiger
und verzögerten einen tiefgreifenden Umbau des politischen und Wirtschaftssystems.
In den Republiken des ehemaligen Jugoslawiens blockierten die staatliche Loslösung
und Neugründung sowie die damit einhergehenden Kriege eine weitergehende Demokratisierung
und marktwirtschaftliche Reform bis zum Ende der neunziger Jahre. Albanien schliesslich
war belastet mit dem Erbe eines doktrinär-isolationistischen Kommunismus sowie
einer in Europa beispiellosen ökonomischen Rückständigkeit und Armut.
Da auch die südosteuropäischen Staaten der EU beitreten wollen, besitzen
alle Staaten der Region heute gemeinsame normative, mit der EU-Beitrittsperspektive
verbundene Transformationsziele. Reicht diese von der EU im Prinzip unterstützte
Zielperspektive aus, damit die südosteuropäischen Staaten aufholen und die
historisch-kulturelle Grenzlinie überwinden können? Oder erleben wir eine
Abkopplung der Balkanländer, die zur Verfestigung des sichtbaren Syndroms von ökonomischer
Rückständigkeit, unversöhnlichen ethnonationalen Konflikten und korrumpierter
Demokratie führt?
Dieser Beitrag fragt nicht, ob die westliche Unterstützung für die Balkanregion
angemessen und ausreichend ist. Vielmehr konzentriert er sich auf die Gestaltungsfähigkeit
der einheimischen politischen Akteure und vergleicht die Leistungen des politischen
Managements in Südosteuropa mit den Leistungen ostmitteleuropäischer Länder.
Falls die politischen Eliten und Regierungen der Balkanländer vielversprechende
Managementleistungen demonstrieren, so die zugrundeliegende Annahme, dann hat Südosteuropa
das Potential dazu, zu Ostmitteleuropa aufzuschließen und sich aus seiner historisch-kulturellen
Bestimmung zu lösen. Steuerungserfolge und Steuerungsversagen sind auf dem Hintergrund
der von Land zu Land unterschiedlichen Rahmenbedingungen einzuschätzen, die den
Spielraum jedes Transformationsmanagements beeinflussen. Diese Rahmenbedingungen und
Entwicklungsverläufe sollen zunächst erläutert werden.
Konsolidierung von Demokratie und Marktwirtschaft seit 1998
Die meisten ostmitteleuropäischen Länder erlebten seit 1998 weder dramatische
Fortschritte noch spektakuläre Rückschläge auf dem Weg zu Demokratie
und Marktwirtschaft. Dies liegt daran, dass sie bereits vor fünf Jahren in beiden
Dimensionen relativ weit vorangekommen waren. Wenn man aber das hohe Ausgangsniveau
und die Risiken autoritärer Rückfälle in früheren Demokratisierungswellen
sowie in anderen Weltregionen berücksichtigt, sind die Stagnationstendenzen oder
geringen Fortschritte durchaus als Erfolgsleistungen einzustufen.
Dies gilt umso mehr, als die neuen Demokratien sich noch nicht mit einer spürbaren
Verbesserung des sozioökonomischen Entwicklungsstandes legitimieren können.
Ein Indikator der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung ist der vom Entwicklungsprogramm
der Vereinten Nationen ermittelte Index der Menschlichen Entwicklung (HDI), der aus
der durchschnittlichen Lebenserwartung, dem Deckungsgrad des Bildungssystems, der Literarität
und dem Pro-Kopf-BIP in Kaufkraftparitäten errechnet wird. Gemessen am HDI haben
nur Albanien und Lettland ihr Entwicklungsniveau zwischen 1995 und 2000 deutlich erhöht,
in den übrigen Ländern der Region fällt der Zuwachs deutlich geringer
aus. Im Jahr 2002 hatten erst sieben der 15 ostmittel- und südosteuropäischen
Länder das Niveau ihres realen Bruttoinlandsproduktes von 1989 überschritten:
Albanien, Estland, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn.
Innerhalb der Gesamtregion heben sich vier Länder ab, die seit 1998 fundamentale
politische Umbrüche erfuhren. In Kroatien, Serbien-Montenegro und der Slowakei
wurden Führungspersonen abgelöst, deren semi-autoritäre Herrschaftspraxis
Demokratiedefekte in den Bereichen Staatlichkeit, politische Partizipation und Rechtsstaatlichkeit
verursacht und die weitere demokratische Konsolidierung blockiert hatte. Vor allem die
politischen und wirtschaftlichen Fortschritte der Slowakei sind beeindruckend, während
in Serbien-Montenegro die Post-Milosevic-Ära noch mit großen Unsicherheiten
befrachtet ist. Während die genannten drei Länder seit 2000 bzw. 1998 bedeutende
Transformationsfortschritte verzeichnen, stellt Makedonien das einzige Land in der Region
dar, dessen politische und ökonomische Lage sich gegenüber 1998 insgesamt
verschlechterte. Seine ethnopolitischen Gegensätze eskalierten im Frühjahr
2001 fast zu einem Bürgerkrieg, der durch das Abkommen von Ohrid im August 2001
beigelegt werden konnte, ohne dass die Konfliktursachen bisher vollständig beseitigt
worden wären.
Was die übrigen Länder betrifft, blieb der Konsolidierungsgrad der Demokratie
im wesentlichen unverändert oder verbesserte sich in einzelnen Aspekten. Tschechien
und Ungarn haben inzwischen Parteiensysteme entwickelt, die durch eine überschaubare
Zahl von relativ dauerhaften Parteien geprägt sind. In den übrigen Ländern
sind die Parteiensysteme stärker fragmentiert und/oder durch häufige Veränderungen
charakterisiert. Bulgarien und Serbien-Montenegro erlebten in den Jahren 1996/97 und
2000 Phasen zivilgesellschaftlicher Mobilisierung, die reformorientierten politischen
Kräften zum Erfolg verhalfen. Inzwischen kann man in Bulgarien wie auch in anderen
südosteuropäischen Ländern jedoch eine wachsende Kluft zwischen Öffentlichkeit
und politischer Elite, zunehmendes Misstrauen gegenüber liberalen Reformern und
ein Protestwahlverhalten enttäuschter Wählergruppen beobachten. Eine Meinungsumfrage
vom Mai 2003 ermittelte, dass 81 % der Bulgaren und 74% der Rumänen nicht mit dem
Funktionieren der Demokratie in ihrem Land zufrieden waren. Ein Symptom dieser Desillusionierung
ist die Präsenz von Korruption als weitverbreitetes Fehlverhalten wie als generelles
Stigma der Politik.
Insgesamt erscheinen die Rahmenbedingungen der Transformation in den südosteuropäischen
Ländern wesentlich schwieriger als in den ostmitteleuropäischen Ländern.
Dies ergibt ein Blick auf alle wesentlichen Problem- bzw. Erfolgsfaktoren: das wirtschaftliche
Entwicklungsniveau, die Humankapitalausstattung, die Intensität ethnopolitischer
Konflikte, die Existenz zivilgesellschaftlicher Traditionen und die Staatskapazität.
Albanien, Bosnien-Herzegowina und Makedonien weisen den höchsten Schwierigkeitsgrad
in Mittel- und Osteuropa auf, denn dort kumulieren die fehlenden zivilgesellschaftlichen
Traditionen und schwachen rechtsstaatlichen Strukturen entweder mit einem extrem niedrigen
sozioökonomischen Entwicklungsniveau oder mit einer Erbschaft gewaltsamer ethnopolitischer
Konflikte. Fast ebenso schwierige Bedingungen bestehen für ein Transformationsmanagement
in Rumänien und Serbien-Montenegro. Während Rumäniens Hauptproblem eher
in der fehlenden zivilgesellschaftlichen Tradition liegt, ist Serbien-Montenegro mit
gravierenden ethnopolitischen und Staatlichkeitsproblemen konfrontiert.
Innerhalb des Gesamtfeldes zeichnen sich Litauen, Slowenien, Tschechien und Ungarn
durch ein geringeres Schwierigkeitsniveau aus, da hier relativ starke zivilgesellschaftliche
Traditionen, höhere Staatskapazitäten und ein hohes wirtschaftliches Entwicklungsniveau
günstige Ausgangsbedingungen bieten. In den übrigen Ländern besteht ein
mittlerer Schwierigkeitsgrad, teils aufgrund ethnopolitischer Probleme und schwächerer
Staatskapazitäten, in Polen aufgrund der ungünstigen Entwicklungsstruktur
der Wirtschaft.
Gestaltungsleistungen im Transformationsprozess
Umfassende gesellschaftliche Reformen, wie sie in Transformationsprozessen erforderlich
sind, setzen eine politische Steuerungsleistung voraus, die mehreren Qualitätsmerkmalen
genügen sollte. Die politische Elite sollte fähig sein, strategisch orientierte,
konsistente und glaubwürdige Reformpolitiken zu formulieren und diese auch gegen
politische Blockadeversuche umzusetzen. Eine Regierung sollte die verfügbaren ökonomischen,
kulturellen und Humanressourcen optimal nutzen, Verantwortlichkeit, Lernfähigkeit
und politische Klugheit zeigen, nicht-staatliche Akteure einbeziehen und einen breiten
Reformkonsens in der Gesellschaft anstreben. Während einerseits eine ausreichende
Durchsetzungsfähigkeit verlangt ist, geht es andererseits darum, zu gewährleisten,
dass sich bestehende Konfliktlinien nicht zu unüberbrückbaren Spaltungen vertiefen.
Zudem sollte eine Regierung auch dazu in der Lage sein, mit externen Unterstützern
sowie internationalen Organisationen so zu kooperieren.
Die meisten Regierungen in der Region räumen mittel- und langfristigen Zielen
des Transformationsprozesses Vorrang gegenüber kurzfristigen Zielen ein. Die estnischen,
litauischen und slowakischen Regierungen vertreten auch eine konsistente und kohärente
Reformpolitik. In den anderen Ländern dagegen lassen sich häufiger Abstimmungsmängel
und partielle Reformstrategien beobachten. In Bosnien-Herzegowina agiert die amtierende
Regierung teils konzeptionslos, teils auf kurzfristige Nutzenmaximierung bedacht, weil
häufige Wahlen und Regierungswechsel politische Instabilität erzeugt haben,
die durch fehlende Kompromissbereitschaft und ethnopolitische Gegensätze der Parteien
verschärft wird. In Albanien und Makedonien behindert die parteipolitische Polarisierung
die Formulierung und Verfolgung einer konsistenten, strategisch orientierten Reformpolitik.
Vor allem Estland, aber auch Litauen, die Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn
nutzen die verfügbaren ökonomischen, kulturellen und Humanressourcen auf optimale
Weise. In Bosnien-Herzegowina und Makedonien verursachen die ethnopolitischen Gegensätze
hohe fiskalische Kosten, z.B. zur Umsetzung ethnischer Proportionalität oder zur
Aufrechterhaltung relativ kleinräumiger Vertretungskörperschaften. Alle Regierungen
der Region arbeiten - mit unterschiedlicher Intensität - an der Reform der öffentlichen
Verwaltung. Zu den wichtigsten Reformschritten gehören moderne Gesetze über
den öffentlichen Dienst, die Dezentralisierung, eine mittelfristige Finanzplanung,
die Einführung von exante-Ausgabenkontrollen (Schatzämter) und die Integration
von extra-budgetären Fonds in den zentralen Haushalt.
Auch in den fortgeschrittenen Transformationsländern ist die Fluktuation des Verwaltungspersonals
noch immer hoch, da qualifizierte Angestellte im privaten Sektor wesentlich besser bezahlt
werden und da Regierungswechsel gewöhnlich mit weitreichenden personellen Veränderungen
in der Verwaltung verbunden sind. Die Regierungen in Albanien, Bosnien-Herzegowina,
Kroatien und Ungarn haben zwischen 1998 und 2002 regelmäßig hohe Haushaltsdefizite
verursacht, die im Durchschnitt fünf Prozent des BIP übersteigen. Zur Einschätzung
der effizienten Nutzung von Haushaltsmitteln sind diese Indikatoren allerdings im Zusammenhang
mit der Transparenz der Haushaltsführung zu interpretieren, die aufgrund von Haushaltsstrukturreformen
in Ungarn höher ist als in den südosteuropäischen Ländern.
Nur in Estland und Litauen stellen die Regierungen ein öffentliches Dienstleistungsangebot
bereit, das optimal auf die Erfordernisse von Wirtschaft und Gesellschaft abgestimmt
ist. In Albanien, Bulgarien und Makedonien gewährleisten die Regierungen dagegen
keine ausreichenden öffentlichen Dienstleistungen, was Transformationsfortschritte
in diesen Ländern hemmt. Unreformierte Gesundheitssysteme, die öffentliche
Mittel nicht optimal nutzen und zugleich keine adäquaten Dienstleistungen bieten,
stellen in diesem Zusammenhang eine große Herausforderung dar. In Polen z.B. war
die Regierung gezwungen, die 1999 eingeführten unabhängigen regionalen Krankenkassen
wieder dem Gesundheitsministerium zu unterstellen. Die gewachsene internationale Aufmerksamkeit
für das Korruptionsproblem hat alle Länder der Region dazu veranlasst, Massnahmen
gegen Korruption einzuleiten.
Flexibilität, Lernfähigkeit und Innovationsbereitschaft lässt sich insbesondere
den Regierungen in Estland, Lettland, Kroatien, Serbien-Montenegro, der Slowakei und
Slowenien attestieren, während die führenden politischen Kräfte in Bosnien-Herzegowina
diese Fähigkeiten nicht besitzen. Zum Beispiel gelang es der estnischen Regierung,
die aus dem Staatsverständnis abgeleitete Ausgrenzungspolitik gegenüber der
russischsprachigen Bevölkerung als Nicht-Staatsbürger durch einen umfangreichen
Satz von Massnahmen zur Integration dieser Gruppe zu ersetzen. Die kroatische Regierung
verringerte die Vorrechte des Staatspräsidenten u.a. bei der Regierungsbildung
und ?ablösung. Die serbische Regierung konnte trotz der ungelösten nationalstaatlichen
Probleme und der heterogenen Regierungskoalition strategisch wichtige Gesetze im Bereich
der Fiskal- und Sozialpolitik auf den Weg bringen. In Bosnien-Herzegowina dagegen fehlt
es den politischen Eliten an Willen und an Anreizen, Kooperationen aufzubauen und einen
Politikwechsel zu realisieren.
Verglichen mit mehrheitsdemokratischen Systemen nach britischem Vorbild ist die politische
Autorität aller Regierungen in der Region relativ begrenzt, sind sie doch gezwungen,
Koalitionspartner mit abweichenden Interessen einzubinden und multipolare Interessenlagen
im Parlament zu berücksichtigen. Nur in Albanien bestand Anfang 2003 eine Einparteienregierung
der Sozialistischen Partei, die zwar über die Mehrheit im Parlament verfügte,
aber durch interne Rivalitäten gespalten war. Auch Vielparteienkoalitionen wie
in Serbien-Montenegro, der Slowakei, Slowenien und Estland konnten in diesem Sinne gestaltungsfähige
Regierungen hervorbringen.
Die Gestaltungsfähigkeit der Regierungen ist zudem durch häufige Regierungswechsel
eingeschränkt. Zwar schwächen Regierungswechsel auch die Einflussmöglichkeiten
für organisierte Interessen, die eine Fortsetzung der Reformen gefährden können.
Sie beschränken aber zugleich die Handlungshorizonte von Politikern und damit die
Chancen für eine Professionalisierung und strategische Orientierung der Regierungsführung.
Nur Ungarn und Tschechien hatten seit dem Systemwechsel Regierungskabinette mit relativ
langen Amtszeiten, während die durchschnittliche Lebensdauer von Kabinetten in
der Region etwa 16 Monate betrug. In Polen, der Slowakei und Bulgarien hat sich die
Stabilität von Regierungskabinetten seit der ersten Hälfte der neunziger Jahre
verbessert, während Länder wie Lettland und Litauen in den letzten Jahren
häufigere Regierungskrisen erlebten.
Prinzipielle Gegner von Marktwirtschaft und Demokratie haben nur geringe Bedeutung,
zumal nachdem Kroatien und Serbien-Montenegro die semi-autoritären Regime von Tudjman
und Milosevic im Jahr 2000 überwanden und die diese stützenden Gruppen marginalisierten
bzw. integrierten. Allerdings haben die marktwirtschaftlichen Reformen insbesondere
in den südosteuropäischen Ländern zur Entstehung ökonomischer Interessengruppen
geführt, die ihre ökonomische Macht auf Monopolpositionen und schattenwirtschaftliche
Aktivitäten stützen und sich einer politischen Kontrolle entziehen sowie politische
Akteure und Verwaltung auf illegale Weise beeinflussen ("state capture").
Im Management von politischen Konfliktlinien sind weder die ostmittel-, noch die südosteuropäischen
Regierungen besonders erfolgreich. Zwar konnten fast alle Regierungen eine Eskalation
strukturbildender cleavages verhindern (Ausnahmen: Makedonien und Ungarn bis 2002),
aber nur etwa die Hälfte der Regierungen hat auch den übergreifenden Konsens
zwischen den politischen Akteuren erweitert. So hat z.B. der bulgarische Ministerpräsident
Sakskoburggotski versucht, den in Bulgarien dominanten Gegensatz zwischen der sozialistischen
Partei und der aus der ehemaligen System-Opposition hervorgegangen Union der Demokratischen
Kräfte zu mildern. Die kroatische Regierung erreichte eine Depolarisierung der
Konfliktlinien, was durch den Wandel der ehemaligen Regierungspartei HDZ zu einer gemäßigten
Mitte-Rechtspartei erleichtert wurde. In Ungarn dagegen versuchte der bis 2002 amtierende
Ministerpräsident Viktor Orbán, die Regierungskontrolle auf alle Bereiche
der Gesellschaft auszudehnen und die Oppositionsparteien zu marginalisieren. Insgesamt
haben die Regierungen in den kleinen Staaten tendenziell erfolgreicher im Konfliktlinien-Management
agiert als in den großen und damit heterogeneren Staaten Polen und Rumänien.
Die Nähe der Region zu und ihre große Bedeutung für Westeuropa haben
in Ostmittel- und Südosteuropa ein dichtes Netz von inter- und transnationalen
Akteuren der Staaten- und Gesellschaftswelt hervorgebracht, mit der EU als dem zentralen
Knotenpunkt. Dieses normbildende Netzwerk und die Anziehungskraft europäischer
kultureller Muster und Wertorientierungen begünstigen kooperative Orientierungen
und Politiken der inländischen politischen Akteure. Im Unterschied zu diesem überaus
positiven Gesamtbild lassen die Regierungen und Politiker in Bosnien-Herzegowina Lernfähigkeit
im Hinblick auf die Nutzung internationaler Hilfe vermissen, gelten als wenig zuverlässige
Partner und sind nur begrenzt bzw. selektiv an der Vertiefung internationaler Kooperation
interessiert.
In geringerem Maße finden sich entsprechende Defizite auch in Albanien, Bulgarien,
Kroatien, Lettland, Makedonien, Rumänien, Ungarn und Serbien-Montenegro. Vor dem
Hintergrund der Kriege um den Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens haben die Regierungen
in Kroatien und Serbien-Montenegro große Fortschritte in der Entwicklung gutnachbarschaftlicher
Beziehungen gemacht, auch wenn noch nicht alle Nachbarschaftsdispute beendet werden
konnten. Die Zusammenarbeit beider Länder mit dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal
verlief jedoch nicht reibungslos. Im Streit um den Status des Kosovo und die serbisch-montenegrinischen
Beziehungen ist die Politik Serbiens mit großen Unsicherheiten befrachtet. Makedonien
nutzte ausländische Hilfsangebote nicht gezielt für wirtschaftliche Reformen,
sondern zur Subventionierung der Klientel der jeweiligen Regierungsparteien. Lettland
erleichterte die Einbürgerung der russischsprachigen Bevölkerungsgruppe häufig
weniger aufgrund eigener Lernschritte als durch internationalen Druck.
Die albanische Regierung vermag nur begrenzte Erwartungssicherheit gegenüber der
internationalen Umwelt zu vermitteln, da die parteipolitische Polarisierung und die
wirtschaftlichen Strukturprobleme im Land politische Instabilität erzeugen. Während
Bulgariens Politik in Fragen wie der Abschaltung des Atomkraftwerks Kozloduj nicht immer
als berechenbar einzustufen ist, tendieren viele politische Akteure in Rumänien
dazu, ausländische Unterstützungsimpulse als auferlegte Vorgaben zu befolgen,
statt sie in eigene, nachhaltige Lernfortschritte umzusetzen. Die ungarische Regierung
versäumte es, ihre Nachbarstaaten ausreichend in die Vorbereitung des sogenannten
Statusgesetzes zur Unterstützung der in den Nachbarländern lebenden ethnisch
ungarischen Minderheiten einzubeziehen.
Fazit: Gestaltungsfähigkeit und Entwicklungsoptionen in Südosteuropa
Insgesamt vermittelt die Analyse der Managementleistungen ein weniger eindeutiges Ergebnis
als der Blick auf den Entwicklungsstand von Demokratie und Marktwirtschaft. Zwar reflektieren
die Managementleistungen das Gefälle zwischen Ostmittel- und Südosteuropa
beim Entwicklungsstand von Demokratie und Marktwirtschaft. Allerdings ist dieser Zusammenhang
nicht so stark, dass man davon sprechen könnte, dass der Entwicklungsstand von
Demokratie und Marktwirtschaft oder der Schwierigkeitsgrad die Qualität des Transformationsmanagements
festlegen.
In beiden Teilregionen lassen sich positive und negative Beispiele für Managementleistungen
finden. So erwiesen sich die kroatische und die serbische Regierung als besonders gestaltungsfähig
bei der Reform des Regierungssystems bzw. in der Haushalts- und Fiskalpolitik. Polen
und Ungarn dagegen verzeichneten relativ hohe Haushaltsdefizite und Schuldenstände.
Fast alle Regierungen in Ostmittel- und Südosteuropa zeichnen sich insgesamt durch
ein relativ hohes Maß an Zielsicherheit aus, begünstigt durch die Orientierungswirkung,
die vom EU-Beitrittsprozess auf die Reformtätigkeit ausgeübt wird.
Ausnahmen innerhalb dieses positiven Gesamtbildes sind vor allem Albanien und Bosnien-Herzegowina,
wo die amtierenden Regierungen teils konzeptionslos, teils auf kurzfristige Nutzenmaximierung
bedacht agieren. Albanien, Bosnien-Herzegowina und Makedonien stellen diejenigen Länder
dar, die am wenigsten Nutzen aus den verfügbaren Ressourcen ziehen. Abgesehen von
den bosnisch-herzegowinischen und makedonischen Akteuren sind alle Regierungen Ostmittel-
und Südosteuropas fähig, einen ? unterschiedlich breiten und stabilen ? Konsens
über die Reformen herzustellen. Die bis 2002 amtierende ungarische Regierung und
die lettische Regierung trugen allerdings zur Polarisierung von existierenden Konfliktlinien
bei, während Kroatien und Bulgarien Beispiele für die Abschwächung zuvor
bestehender Konfliktlinien bieten.
Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass die politischen Akteure auch in Ländern
mit weniger konsolidierter Demokratie und Marktwirtschaft gute Steuerungsleistungen
erbringen können. Insbesondere Kroatien und Serbien haben seit dem Jahr 2000 große
Fortschritte bei der Überwindung autoritärer politischer Strukturen gemacht.
Die intraregional überdurchschnittlichen Managementleistungen der Regierungen beider
Länder bieten Anlass zur Hoffnung, dass südosteuropäische Staaten im
Transformationsprozess aufholen können, wenn sie ihre gute Managementleistung stabilisieren
können.
Demgegenüber erweckt die Gestaltungsleistung der Akteure in Makedonien und Albanien
einen sehr ambivalenten Eindruck, und den politischen Eliten in Bosnien-Herzegowina
lässt sich nur ein krasses Missmanagement bescheinigen. Solange es nicht gelingt,
den Teufelskreis von Missmanagement, Stagnation und Desillusionierung zu durchbrechen,
dürften diese Länder ihrem historisch-kulturell vorgezeichneten Entwicklungspfad
verhaftet bleiben.
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