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Die Welt , 19. Juni 2003

Der Alte Kontinent gibt sich eine Verfassung

Wozu brauchen wir sie? Was bedeutet sie für den EU-Bürger? Wieviel ändert sich? 15 Fragen und Antworten.


Berlin - Morgen wird Konventspräsident Valéry Giscard d'Estaing auf dem EU-Gipfel in Thessaloniki den Entwurf für einen Verfassungsvertrag der Europäischen Union präsentieren. Was bedeutet das für die EU-Bürger?
DIE WELT gibt Antworten.*

Wozu brauchen wir die Verfassung überhaupt?

In fünfzig Jahren Integration ist ein wahrer Wildwuchs von Vertragsregelungen und Zuständigkeiten entstanden. Der Bürger kann längst nicht mehr nachvollziehen, wer in Europa was macht. Seine künftige Verfassung muss diesen Mangel an Transparenz beheben und Europas Demokratiedefizit überwinden. Gleichzeitig wird eine Europäische Union der 25 und mehr Mitglieder die Erwartungen ihrer Bürger nur erfüllen können, wenn ihre Institutionen entscheidungsfähig bleiben und die Verhinderungsmacht der nationalen Regierungen abgebaut wird.

Welches sind die vorrangigen Ziele?

Mehr Demokratie und Handlungsfähigkeit sind die beiden großen Ziele, an denen sich auch der Verfassungsentwurf des Konvents messen lassen muss.

Gibt es weitere Ziele?

Als Ziele werden außerdem "ein hohes Maß an Umweltschutz", die Vollbeschäftigung und die "wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft" fest geschrieben.

Was ist das Besondere an der Präambel?

Sie beschreibt die Werte, auf die sich die künftige Union gründet. Dazu gehören die "kulturellen, religiösen und humanistischen Überlieferungen". Der Konvent verständigte sich nicht auf einen ausdrücklichen Hinweis auf das Christentum.

Wird die neue Verfassung Auswirkungen auf den Alltag haben?

Nein. Durch die neue Verfassung wird Europa nicht zum Alltagserlebnis. Unmittelbar spürbar werden dürfte am ehesten die bessere Lesbarkeit der Verfassung. Die EU erhält endlich eine eigene Rechtspersönlichkeit. Im Konventsentwurf ist festgelegt, dass jeder Staatsangehörige eines Mitgliedstaates Bürger der Union ist und die doppelte Staatsbürgerschaft, die nationale und die Unionsbürgerschaft, besitzt. Durch die Aufnahme der EU-Grundrechtecharta wird die Rechtsstellung der Unionsbürger gegenüber dem EU-Gesetzgeber gestärkt.

Wie kann der EU-Bürger konkret einwirken?

Das Europaparlament bekommt deutlich mehr Mitwirkungsrechte, es entscheidet bei den meisten EU-Gesetzen mit. Neu ist ein europäisches Bürgerbegehren, Wenn mindestens eine Million Unterschriften zusammen kommen, muss sich die Kommission mit dem Begehren beschäftigen.

Wird die EU für den Bürger übersichtlicher?

Unter dem Strich ist dem Konvent kein großer Wurf in Sachen Übersichtlichkeit gelungen. Untergliedert in insgesamt vier Teile umfasst sein Verfassungsentwurf noch immer rund 460 Artikel.

Ist die EU künftig demokratischer?

Ja, denn die demokratischen Beteiligungsmöglichkeiten an der Europapolitik werden verbessert. Die Stimmabgabe bei den Europawahlen erhält zusätzliches Gewicht. Zum einen wird das Parlament in weiten Teilen zum gleichberechtigten Gesetzgebungsorgan des Ministerrates aufgewertet. Zum anderen wählt es künftig den Kommissionspräsidenten, statt ihn, wie bislang, nur zu bestätigen. Überdies bietet die Verfassung die völlig neue Möglichkeit, die Kommission durch europaweite Bürgerinitiativen zur Vorlage von Gesetzgebungsvorschlägen aufzufordern.

Wählen die Bürger jetzt den Präsidenten?

Jein. Der Präsident des Europäischen Rates soll für zweieinhalb Jahre von den Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat gewählt werden. Der Kommissionspräsident wird hingegen durch das Europäische Parlament als Vertretung der EU-Bürger gewählt. Allerdings bleibt es hier bei einer Scheinwahl, da der Kandidat weiterhin durch den Europäischen Rat nominiert wird. Von einer echten Wahl des Kommissionspräsidenten durch die Unionsbürger könnte erst die Rede sein, wenn die Parteien im Europäischen Parlament eigene Spitzenkandidaten nominieren dürften.

Bekommt Brüssel mehr Macht?

In Ansätzen. Auf zahlreichen Gebieten erhält die EU erweiterte Handlungsbefugnisse. So werden ihre Zuständigkeiten etwa auf dem Gebiet der Verbrechensbekämpfung und des Strafrechts, beim Schutz des geistigen Eigentums, in den Bereichen Energie, öffentliche Gesundheit, Katastrophenschutz, Raumfahrt und Sport ausgebaut. Schwerer zu Buche schlägt aber der Übergang von der Einstimmigkeit zu Mehrheitsabstimmungen im Rat, die ab 2009 zudem erleichtert werden. Ab dann wird eine doppelte Mehrheit von Mitgliedstaaten und mindestens 60 Prozent der EU-Bevölkerung ausreichen. Dadurch wird die EU-Ebene in vielen Politikfeldern, vor allem in der Innen- und Justizpolitik, bereits bestehende Kompetenzen wirksamer wahrnehmen können.

Wird die EU außenpolitisch mit einer Stimme sprechen?

Wohl kaum. Auf diesem Feld liegt das Hauptmanko der künftigen Verfassung. In der Außenpolitik ist die Rollenverteilung zwischen dem neu geschaffenen hauptamtlichen Präsidenten des Europäischen Rates, dem künftigen EU-Außenminister sowie dem Kommissionspräsidenten extrem diffus. In der Sicherheitspolitik zeigt sich, dass aus den Erfahrungen mit der europäischen Kakophonie im Irak-Konflikt nichts gelernt wurde. Ausgerechnet dort blockieren einzelne Mitgliedstaaten nach wie vor den Übergang von der Einstimmigkeit zu Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat.

Werden die Nationalstaaten aufgelöst?

Nein. Auch künftig wahren die Nationalstaaten über den Ministerrat und den Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs ihre Schlüsselstellung als "Herren der EU-Verfassung". Zudem bleibt der neue Verfassungsvertrag ein internationaler Vertrag. Künftig können auch die nationalen Parlamente Kommissionsvorschläge für EU-Rechtsakte überprüfen.

Kann ein Mitgliedstaat aus der EU austreten?

Ja, die erstmals bestehende Möglichkeit zum freiwilligen Austritt eines Mitgliedstaates aus der Union sollte unter dem Aspekt nationalstaatlicher Aufwertung besondere Erwähnung finden. Sie steht letztlich für eine Wiederaufwertung des Gedankens nationalstaatlicher Souveränität gegenüber der Union.

Wer sind die größten Widersacher der Verfassung?

Von Widersachern gegen das europäische Verfassungsprojekt an sich kann nicht mehr die Rede sein. Selbst Großbritannien hat seine Grundsatzablehnung gegen den Begriff der "Verfassung" aufgegeben. Stattdessen verlaufen die Konfliktlinien zwischen den Parteien im Konvent je nach Interessenlagen, Handlungskapazitäten und Integrationsverständnis: Im Bündnis mit der Europäischen Kommission stemmen sich die Regierungen der kleinen Mitgliedstaaten gegen eine Abspeckung auf 15 stimmberechtigte Kommissionsmitglieder und halten am Prinzip "ein Kommissar pro Mitgliedstaat" fest. Gleichzeitig haben sich zahlreiche Kleine einer Koalition von insgesamt 18 Ländern angeschlossen, die die Einführung der doppelten Mehrheit ablehnt, weil sie Einflussverluste gegenüber den Großen fürchtet. Großbritannien wiederum legt sich quer bei der Frage von Mehrheitsentscheidungen in der Außen- und der Steuerpolitik.

Wird die Verfassung in Thessaloniki verabschiedet?

Nein. Zunächst wird im Oktober eine Regierungskonferenz eröffnet. Diese muss einvernehmlich über den Konventsentwurf beschließen. Und genau hier bergen nationale Interessen erhebliches Konfliktpotenzial.

* Die Fragen hat Thomas Fischer beantwortet. Er ist Projektmanager für Fragen der EU-Systemreform bei der Bertelsmann Stiftung.


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Aktualisiert am: 25.06.2003   Impressum | Design by [meteme.de]   Seite drucken | Seitenanfang