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Europäische Zeitung, März 2003

EU-Konvent: Wohin des Wegs?

Von Franziska Hagedorn


Seit fünfzig Jahre gilt in der Europäischen Union das Motto: Der Weg ist das Ziel. Und die Reiseroute entschieden bisher die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten hinter verschlossenen Türen. Die großen Regierungskonferenzen zur Reform der EU erinnerten an Versuche, in kleinem Kreis die zukünftige Fahrtrichtung der Gemeinschaft festzulegen und sich von den Passagieren möglichst wenig hineinreden zu lassen. Doch die geplante Regierungskonferenz im Anschluss an die Arbeit des Konvents bietet Chancen, neue Wege aufzuzeigen.

Die Vertragslage ist klar: Änderungen der institutionellen und rechtlichen Struktur in der Union müssen durch die Staats- und Regierungschefs auf einer Regierungskonferenz beschlossen werden. Doch in den letzten Jahren wurden vermehrt Stimmen laut, die größere Beteiligung der Bürger und ihrer gewählten Vertreter an den EU-Reformen verlangten.
Dies war nicht zuletzt eine Folge der Erkenntnis, dass die Union in immer mehr Lebensbereichen der Bürger Gestaltungsmacht besitzt. Zudem zeigten Umfragen und Abstimmungen, dass die stets stillschweigend vorausgesetzte Europabegeisterung der Bürger sich angesichts Reformstaus und fehlender Mitsprachemöglichkeiten zuweilen in Grenzen hielt.

Die vergangenen Regierungskonferenzen zur Reform der Verträge von Amsterdam (1997) und Nizza (2000) folgten beide einem ähnlichen Muster: Zwar wurden unter dem unmittelbaren Reformdruck notwendige Reformen beschlossen, doch gingen diese nicht weit genug, um die Union tatsächlich mit einem institutionellen und rechtlichen Instrumentarium auszurüsten, das auch einer EU mit 27 Mitgliedstaaten angemessen wäre. Mühsame institutionelle Reformen und ad hoc-Entscheidungen charakterisierten diese Etappen. Dies war nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken, dass die Vorbereitung der Konferenz und die Verhandlungen selbst weitgehend ohne die Beteiligung der Öffentlichkeit abliefen. Kompromisse in letzter Minute hinter verschlossenen Türen prägten das Bild.

Nach dem katastrophalen Verlauf der Regierungskonferenz in Nizza, beschlossen die Staats- und Regierungschefs eine weitere Konferenz, auf der die notwendigen Reformen dann tatsächlich beschlossen werden sollten. Auf dem Gipfel in Laeken im Dezember 2001 formulierte der Europäische Rat einen konkreten Arbeitsauftrag und betraute den Konvent mit einer neuartigen Aufgabe: Er sollte die neue Regierungskonferenz vorbereiten, indem er substantielle Vorschläge zur Reform der Union unterbreitete. Damit wurde tatsächlich ein Wandel eingeleitet: Nicht nur der Konvent, der in einer starken demokratischen Tradition steht, ist ein Novum. Auch die Regierungskonferenz wird durch die Vorgaben und den Reformentwurf des Konvents einen anderen Charakter haben.

Ein kohärenter Vorschlag aus dem Konvent, unterstützt von einer möglichst breiten öffentlichen Debatte, wird es den Regierungschefs schwer machen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu tagen. Im Übrigen würden sich die Staats- und Regierungschefs einem massiven Rechtfertigungszwang ausgesetzt sehen, wenn sie einen Vorschlag der klaren Mehrheit des Konventes ablehnen. Es ist also zu vermuten, dass die bevorstehende Regierungskonferenz anders verlaufen wird als die bisherigen.

Dennoch können noch einige Unwägbarkeiten, die den Verlauf der Regierungskonferenz beeinflussen. Zunächst stellt sich die Frage, welchen Charakter der Konvent in seiner Schlussphase annehmen wird. So tauchte verstärkt sich die Kritik, dass der Konvent durch die Beteiligung von mehr und mehr Regierungsvertretern ‚zu viel Regierung, und zu wenig Parlament' reflektiere. In der Tat deutet die Anwesenheit von hochrangigen Regierungsmitgliedern aus einer Vielzahl von Mitgliedstaaten darauf hin, dass die Regierungen versuchen, bereits frühzeitig Einfluss auf das Ergebnis des Konvents zu nehmen. Ein solch starker Regierungseinfluss kann Vor- und Nachteile für die Regierungskonferenz haben. Gelingt es den Regierungsvertretern im Konvent eine breite Mehrheit für ihre Vorschläge herzustellen, so könnten sich die Staats- und Regierungschefs vermutlich leichter auf diesen Vorschlag einigen. Das wäre der Idealfall. Sollten sich jedoch bereits im Konvent die Fronten verhärten, würde dieser im schlimmsten Fall zu keiner klaren Mehrheit finden und die Regierungskonferenz sähe sich dann harten Auseinandersetzungen, wenn nicht unüberbrückbaren Gegensätzen gegenüber.

Die starke Beteiligung der Regierungsvertreter birgt zudem die Gefahr, den Eindruck einer vorgezogenen Regierungskonferenz zu vermitteln. Die Stärke des Konvents liegt in seiner Offenheit. Das weiß auch Präsident Giscard d'Estaing: "Alle Verhandlungen sollten in der Öffentlichkeit stattfinden." Die deutsch-französischen Initiativen im Konvent zu den Kernthemen Außen- und Sicherheitspolitik, Justiz und Inneres sowie politische Führung sind ein Beispiel dafür, wie bilateral ausgehandelte Kompromisse den Verlauf des Konvents beeinflussen können. Eine solche Vorgehensweise erweitert zwar den Handlungsspielraum für die Staats- und Regierungschefs, doch er schränkt die tatsächlichen Einflussmöglichkeiten der nationalen und europäischen Parlamentarier ein. Dies könnte fatale Auswirkungen haben. Verstärkt sich diese Tendenz der Dominanz der Regierungsvertreter, so würde dies das Scheitern des innovativen Reformprozesses und des Einflusses der Bürger auf die Union signalisieren - und damit auf lange Sicht das Schicksal der Gemeinschaft besiegeln.

Offen ist auch noch die Frage des Timing. Die italienische Regierung hat klare Ambitionen, den Vertrag vor Jahresende als Neuauflage der römischen Verträge unter Dach und Fach zu bekommen. Italien, das im zweiten Halbjahr 2003 die Präsidentschaft innehaben wird, befürchtet nämlich, andernfalls könnten allzu viele neue Elemente die Debatte verkomplizieren. Dies unterstützen auch Frankreich und Deutschland, die den Vertrag so bald wie möglich beschließen möchten, so dass die neuen Mitgliedstaaten ihn gleichzeitig mit ihrem Beitritt unterschreiben können.

Doch Schweden, Finnland und Irland haben gefordert, nach der Vorlage des Konventsentwurfs erst einige Zeit verstreichen zu lassen, bevor die Regierungskonferenz ihre Beratungen beginnt. Diese Länder befürchten, dass sonst nicht genug Zeit für eine öffentliche Debatte des Konventsvorschlags zur Verfügung steht. Und dies kann gefährlich sein: Schließlich muss eine neue Verfassung in Referenden in einigen Mitgliedstaaten gebilligt werden. Irland verweist hier auf die negative Erfahrung mit der Abstimmung über den Nizza-Vertrag, der aufgrund fehlender öffentlicher Diskussion und niedriger Wahlbeteiligung im ersten Anlauf abgelehnt wurde. Beginn und Ende der Regierungskonferenz bleiben also derzeit offen, wenn sich auch abzuzeichnen scheint, dass es einen Kompromiss und damit einen neuen Vertrag von Rom im Jahr 2003 geben wird.

Bleibt also die Frage, ob diese Regierungskonferenz das Ende der bisherigen Praxis darstellen wird. Selbst wenn der neue Verfassungsvertrag größtmögliche Anpassungsfähigkeit der EU erlaubt, wird es auch weiterhin einen Änderungsmechanismus für die Verträge geben müssen. Die Mitgliedstaaten werden dabei ihr entscheidendes Mitsprachrecht in Grundsatzfragen nicht aus der Hand geben wollen. Doch gelingt das Experiment Konvent, so wird eine vertraglich gesicherte, stärkere Beteiligung der gewählten nationalen und europäischen Volksvertreter an Vertragsreformen in Zukunft unumgänglich werden. Von einer solchen gemeinsamen Kursbestimmung können die Bürger der Union nur profitieren.


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Webdossier zum EU-Konvent
 
           
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Aktualisiert am: 19.05.2003   Impressum | Design by [meteme.de]   Seite drucken | Seitenanfang