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politik&kommunikation,
3. März 2003
Schlüsselfertige Beratung - eine Frage der KommunikationVon Werner Weidenfeld und Jürgen Turek Wer Politik beraten will, der muss sie nicht nur genau verstehen - er muss von ihr heute auch als kompetenter Dienstleister wahrgenommen werden. Lange galten die Problemidentifikation und Frühwarnfunktion, Sensibilisierungsfunktion sowie Evaluations- und Legitimationsfunktion als die zentralen Bausteine einer wissenschaftlich grundierten Politikberatung. In Zukunft kommen im geforderten Leistungspaket in immer stärkerem Maße die Entwicklung politischer Optionen und Strategien sowie die Vermittlungsfunktion zwischen Politik und Öffentlichkeit hinzu. Die Legitimation des politischen Systems und seiner Entscheidungen ist in einer komplexer werdenden Welt ein kostbares Gut. Sie schließt eine hohe Transparenz politischer Entscheidungen, die Effizienz gefundener Lösungen und die Einhaltung demokratischer Verfahrensweisen ein. Diese Leistung nachhaltig zu erbringen, das ist heutzutage von problematischer Natur. Denn die Legitimation des politischen Systems in Deutschland erodiert: traditionelle Partei- und Institutionenbindungen lösen sich auf, Arbeitsmärkte werden volatil, nationale und föderale Handlungsspielräume schwinden. Gleichzeitig kommt auch die Außenpolitik ohne wissenschaftliche Beratung immer weniger aus. Die internationale Vernetzung schreitet mit atemberaubendem Tempo voran, Beziehungen komplexer Interdependenz wachsen stetig. Da ist guter Rat teuer, aber wie wird er effizient und akzeptabel formuliert? Hier schlägt die Stunde der angewandten Politikforschung, die sich seit dem letzten Jahrzehnt als Beratungszweig auch in Deutschland stärker positioniert. In der politischen Beratungspraxis spielten lange Zeit die Problemdeutung, die Sensibilisierung und die Evaluation gefundener Lösungen eine entscheidende Bedeutung. Veränderungen in der Angebots- und Nachfragestruktur jedoch zeigen auf: dieser Ansatz greift zu kurz. Wurde die Entwicklung von politischen Optionen und Strategien bislang all zu oft der Politik dann selbst überlassen, fordern die ‚Kunden' solche Dienstleistungen im Beratungsprozess nun zusätzlich ein. Jenseits der vertraulichen Politikerberatung zeigen sich Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in zunehmender Weise mehr an "schlüsselfertigen" und konzeptionellen Beratungsdienstleistungen denn an Problemdeutungen und punktuellen Bewertungen aktueller Politik interessiert. Angewandte Politikforschung avanciert so zur differenzierten Orientierungsleistung und bietet als Ideenagentur Lotsendienste für die Politik. Ihre Dienstleistung kann sich nicht mehr nur auf die reine Vermittlung von Fakten zurückziehen, sondern sie muss Möglichkeiten und Pfade systemischer Gestaltung ausloten und aufzeigen. Dies erfordert einen mehrstufigen Prozess, der die Problemerkennung und -analyse im Sinne der Frühwarnfunktion, die Erkenntnis der damit verbundenen Sensibilitäten, die Formulierung von politischen Optionen und ihre Aggregation zu politischen Strategien sowie die anschließende Implementierung und Bewertung der Ergebnisse umfasst. Hier gilt es, frühere Defizite der Beratung zu beachten, die vielerorts zu ‚Beratungsresistenz' oder gegenseitigem Unverständnis führten. Die knappste Politikressource ist in immer stärkerem Maße die zur Verfügung stehende Zeit. Aktualität, Praxisnähe und Durchsetzbarkeit werden deshalb zur Messlatte einer wirklich verwertbaren Kommunikation. Angewandte Politikforschung, die den zeitlichen Rahmen und den Verwertungskontext der Politik vernachlässigt, bleibt letztlich irrelevant für die politische Entscheidung. Sie muss deshalb den eigenen Zeitbedarf und Entstehungskontext ihrer Arbeit darauf abstimmen, Entscheidungslagen in der operativen Politik antizipieren und ihre Ergebnisse kurzfristig verfügbar machen können. Politikberatung, die ihre eigene wissenschaftliche Rationalität überschätzt, der Versuchung der besserwisserischen Arroganz erliegt oder die Rezeptionsmuster der politischen Akteure und der politischen Administration verkennt, verfehlt ihre Wirkung. Dies hat Auswirkungen auf die Auswahl des wissenschaftlichen Ansatzes, der methodischen Instrumente und den Stil der Kommunikation. Hierbei gilt - egal ob Positionspapiere, Gutachten, Workshops, Konferenzen, Simulationen oder gut organisierte Netzwerke zum Einsatz kommen - dass die Auswahl der Instrumente sensibel und dem Beratungsbedarf maßgeschneidert angepasst erfolgen muss. Die Politikberatung hat den Hang der Sozialwissenschaften zur sprachlichen Abschottung und Praxisferne dabei strikt zu meiden. Oft genug scheitert eine erfolgreiche Beratungsleistung am gegenseitigen Unverständnis der kurzfristigen alltäglichen Kommunikations- und Entscheidungslagen in der Politik einerseits und der an Begrifflichkeiten und Modellbildung langfristig orientierten Denk- und Arbeitsweise der Wissenschaft andererseits. Die Vermittlungsfunktion zwischen Politik und Öffentlichkeit ist heute ganz besonders wichtig. Die angewandte Politikforschung muss deshalb die Vermittlung ihrer Ergebnisse an die Politik strategisch planen. Das heißt: die Empfehlungen an die Politik müssen den Akteuren in einer knappen, für sie verwertbaren und verständlichen Form vorgelegt werden; zugleich müssen sie, sofern keine Vertraulichkeit vereinbart worden ist, massenmedial aufbereitet an eine breite Öffentlichkeit kommuniziert werden, weil die Öffentlichkeit der Politikberatung dem Selbstverständnis der demokratischen Entscheidungsfindung entspricht; und schließlich müssen sie in nachprüfbarer Form präsentiert werden, da dies als entscheidendes Qualitätskriterium einer seriösen Politikberatung gilt. Seriosität und Glaubwürdigkeit politikberatender Institutionen und Personen sind von einer herausragenden Bedeutung. Politikberatung arbeitet an der empfindlichen Schnittstelle von Wissen und Macht. Sie braucht deshalb wissenschaftliche Distanz, gleichzeitig aber eine wirksame kommunikative Nähe zur Politik. In einer pluralen Gesellschaft haben Think Tanks heute einen beträchtlichen Einfluß auf Akteure und Öffentlichkeit. Angewandte Politikforschung muss sich deshalb schließlich stetig darauf besinnen, ihre Redlichkeit durch eine berufsspezifische ethische Haltung abzusichern. |