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Süddeutsche
Zeitung, 22. Januar 2003
Visionäre im Verborgenen Die Väter des VertragsWie de Gaulle und Adenauer die Partnerschaft besiegelten Als vor vierzig Jahren der Deutsch-Französische Freundschaftsvertrag unterzeichnet wurde, war die politische Atmosphäre spannungsgeladen. Es erschien sehr zweifelhaft, ob Konrad Adenauer für den Vertrag eine Mehrheit im Bundestag erhalten würde. Das Bonner Parlament war schließlich nur zur Ratifizierung bereit, wenn es dem Vertrag eine transatlantisch orientierte Präambel beigeben könne. Der französische Vater des Vertrages, Präsident Charles de Gaulle, antwortete darauf mit dem klassisch ge-wordenen Satz: Der Vertrag ist tot, ehe er in Kraft tritt. Von dieser Dramatik wird bei der Jubiläumsfeier nichts zu spüren sein. So wie bei allen Festakten früherer Jahre wird der Vertrag eingenebelt in das hehre Pathos der internationalen Politik. Alles wird in Unverbindlichkeiten verbleiben. Dabei bestünde der einzig angemessene Weg, dem Vertrag eine Zukunft zu geben, darin, das eigentliche strategische Kernanliegen der Vertragsväter wieder freizulegen. Die Idee zu dem Vertrag entstand in einer international und innenpolitisch höchst spannungsreichen Konstellation: Berlin-Krise, der Mauerbau, das Scheitern der Europäischen Politischen Union, das Veto gegen den Beitritt Großbritanniens zur EWG, die Kuba-Krise; innenpolitisch die Schwierigkeiten de Gaulles in der Nationalversammlung, der Machtverlust Adenauers angesichts des nahenden, fest vereinbarten Endes seiner politischen Ära. Die Geburtsstunde des Vertrages ist der 4. Juli 1962, 10 Uhr. Adenauer und de Gaulle kommen zu einem 80-minütigen Gespräch unter vier Augen zusammen. Es ist das zweite Treffen der beiden Politiker während des Frankreich-Besuchs des Bundeskanzlers, der seinen symbolischen Höhepunkt in der Messe in der Kathedrale vom Reims findet, der Krönungskirche der Könige Frankreichs. Kommunistische GefahrDas erste Gespräch der beiden am 3.Juli hat sich ausschließlich um die Notwendigkeit einer politischen Union Europas gedreht; beide befürchten ein Scheitern der von Christian Fouchet entwickelten Pläne für Europa; beide äußern ihre Skepsis gegenüber dem politischen Einigungswillen Großbritanniens; aber Westeuropa müsse doch unbedingt politisch mit einer Stimme sprechen. Am 4. Juli greifen sie diesen Gedanken nun wieder auf und ergänzen ihn um die sicherheitspolitische Variante: die Bedrohung durch Moskau; die Versuche Moskaus, die Westeuropäer politisch gegeneinander auszuspielen; Zweifel an der Handlungsfähigkeit der Nato. Die Schlussfolgerung Adenauers: Wenn die politische Union Westeuropas jetzt noch nicht gelingt, wenn die Bedrohung durch den Kommunismus weiter anhält, wenn die Nato im Blick auf Westeuropa nur begrenzt politisch handlungsfähig ist dann muss es zu einer deutsch-französischen Verklammerung kommen, die man zunächst mit einem lockeren Konsultationsarrangement einleiten könne. De Gaulle fragt tastend nach, wie er sich dies denn im Einzelnen vorstelle. Beide Politiker scheinen von dem Gedanken so elektrisiert zu sein, dass sie spontan ein zusätzliches Gespräch unter vier Augen für den nächsten Tag vereinbaren, ein Treffen, das nach dem Terminplan nicht vorgesehen war. Sie spinnen bei dieser Gelegenheit den Faden sofort weiter. Wir dürfen die Hände nicht in den Schoß legen. Das Schicksal beider Länder hängt davon ab. Schon wenige Tage nach dem Treffen, bereits am 15. Juli 1962, schreibt de Gaulle dem deutschen Bundeskanzler einen persönlichen Brief, der die deutsch-französische Zusammenarbeit erneut im Kontext der politischen Union Europas fest-macht. Beim nächsten Treffen am 5. September 1962, wieder unter vier Augen, geht Adenauer klug kalkulierend einen Schritt weiter. Wieder ist die Besorgnis um die fehlende politische Union Europas der Ausgangspunkt. Jetzt aber plädiert er nicht mehr für ein lockeres Konsultationsarrangement, sondern für eine präzise und feste Abmachung. Er, Adenauer, lege Wert darauf, etwas schwarz auf weiß zu haben. De Gaulle fragt prüfend zurück, ob der Bundeskanzler sich das solidarische Arrangement zwischen Frankreich und Deutschland vorstelle, ohne die Idee der Sechs aufzugeben und ohne die Möglichkeit eines englischen Hinzukommens auszuschließen. Adenauer bejaht dies und spricht über die Sogwirkung eines solchen Schrittes für ganz Westeuropa. Die Verklammerung Deutschland und Frankreich soll zum Motor der politischen Union Europas werden. Beide sind sicher, dass die Anziehungskraft auf die jetzt Zögernden immens sein wird. Die Väter des Vertrages waren geradezu gefesselt von dem Gedanken, ein gemeinsames Fundament für die politische Zukunft Europas zu schaffen. Sie hatten ursprünglich sogar daran gedacht, eine gemeinsame deutsch-französische Staatsbürgerschaft einzurichten. Beide Völker sollten vernetzt werden. So sollte die Union von Deutschland und Frankreich eine handfeste Anschauung des künftigen Vereinigten Europas bieten. Weltpolitisch relevant, sicherheitspolitisch stark und außenpolitisch mit einer Stimme sprechend so wollten es die beiden Staatsmänner. Hier sollte ein Plan für eine neue Architektur der internationalen Politik entstehen. Was ist daraus geworden? Zunächst hatten damals die Gegner des Vertrags verstanden, dass es hier offenbar um mehr ging, als nur das übliche bilaterale Freundschafts- und Verständigungspathos. Es gelang ihnen, mit dem Zusatz der Präambel der Vertragsidee die eigentliche weltpolitische Substanz zu nehmen. Vor diesem Hintergrund bot dann das Werk den Rahmen für die üblichen bilateralen Beziehungen, deren Ausgestaltung mal besser und mal schlechter gelang. Von der Schaffung des Euro bis zum Gemeinsamen Markt, vom Streit um die Agrarfinanzierung bis zum Konflikt um die Stimmgewichtung beider Länder im EU-Ministerrat reicht die Melange aus glückhaften und schmerzlichen Momenten. Zu keinem Zeitpunkt aber erreichte das deutsch-französische Verhältnis wieder jenen weltpolitischen Horizont der Jahre 1962/63. Ganz unähnlich ist die Lage vierzig Jahre später nicht. Zwar existiert die kommunistische Bedrohung nicht mehr, aber Europas Sicherheit ist auf neue Art höchst gefährdet. Europas Existenz wird weltpolitisch langfristig nur zu garantieren sein, wenn es einen ähnlich mutigen Schritt zur Organisation seines Machtpotenzials ergreift vergleichbar der ursprünglichen Idee der damaligen Vertragsväter. Ob aber in Paris und Berlin heute eine vergleichbare strategische Inspiration anzutreffen ist? Wohlwollende Erinnerung reicht nicht aus. Freundliches Andenken greift zu kurz. |