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Kölner
Stadtanzeiger, 06. Dezember 2002
Auf der Suche nach einem Leitbegriff. Demokratische FührungsstärkeDie Reformstau ist auch in der neuen Legislaturperiode nicht kürzer geworden. Im Gegenteil überschlagen sich die Tagesmeldungen, dass sich offenbar nichts mehr bewegt, um den Stau aufzulösen. Hektisch reagieren Bundes- und Landesregierungen auf die jeweils neuen Steuerschätzungen. Doch die Halbwertzeiten der jeweiligen politischen Entscheidungen werden immer kürzer. Die kraftvoll angekündigten Einschnitte der jeweiligen Fachminister sind Befreiungsschläge, die nur kurzzeitig Handlungsspielräume eröffnen. Der Bundeskanzler wie auch einige Ministerpräsidenten halten sich absichtsvoll medial zurück. Drastische Einschnitte im Sozialsystem sollen andere verkünden. Das Gesicht des Kanzlers soll mit guten Botschaften verbunden sein. Von den harten Einschnitten distanziert er sich dadurch. Schlechte Nachrichten werden ausgesourct. Dieser Regierungsstil ist erkennbar präsidentiell ausgerichtet. Ihn charakterisiert ein Populismus der Mitte als Strategie der Mobilisierung und Konsenssicherung. Hierbei wird der Schwerpunkt auf die Darstellungs- und weniger auf die Entscheidungspolitik gelegt. Die Kultivierung der eigenen Autorität erfolgt häufig gerade auf Kosten der Kabinettsmitglieder. Staatsmännisch wird durch medienadressierte Personalisierung die eigene Person überhöht. Regieren erfolgt im Minutentakt. Orientierungsmaßstab ist die Aufregungsdemokratie, der man mit strategischer Marktbeobachtung demoskopiefixiert begegnet. Die Pragmatik des Augenblicks entscheidet. Je nach Problem werden neue Allianzen und Netzwerke auf Zeit gegründet. Modernes Regieren reagiert auf frei floatende Stimmungen. Das Management von Öffentlichkeiten ist eine strategische Antwort der Politik auf wählerische Wähler, die immer kurzatmiger und kurzsichtiger entscheiden, nach Situation und vermeintlicher Eigennutzmaximierung. Das kann man als effiziente Steuerung bezeichnen, die darstellerisch punktet und sich angemessen situativ auf geringe Handlungsspielräume des europäischen Regierens in Deutschland einstellt. Aber in den Entscheidungen kann so ein Regierungsstil nur schwer nachhaltig
wirken, weil er selbst zu einer permanenten Überforderung der Exekutiven
führt. Wählerenttäuschungen sind zwangsläufig vorhersehbar,
weil zielgruppenpopulistisch nie alle zufrieden gestellt werden können
zumal bei programmatisch völliger Offenheit. Präsidentielle
Regierungsstile sind Im Kern scheint der gefesselte Riese BRD institutionell bewegungsunfähig geworden zu sein. Warum gerade jetzt? Denn im Kern hat sich das bewährte politische System in Deutschland seit der deutschen Einheit nicht verändert. Die Bundesrepublik leistet sich auf Grund ihrer Geschichte wesentlich mehr so genannte Nebenregierungen als unsere Nachbarn. Dazu zählt beispielsweise der Bundesrat. Einmalig in der Welt ist die Gesetzgebung des Bundes abhängig von der Zustimmung der Landesregierungen im Bundesrat, während die Länder ihrerseits kaum noch eigene Gesetzgebungskompetenzen haben. Der Grundgedanke des Wettbewerbsföderalismus ist seit langer Zeit ausgehöhlt. Auch die laute Kritik am Verbändestaat und den Kartellen des Konsenses begleiten die Republik seit Jahrzehnten. Die einstige hohe Attraktivität des Modell Deutschlands existiert nicht mehr, obwohl die Eckpfeiler des politischen Systems unverändert wirkungsmächtig sind. In einem so blockierten, extrem verflochtenen und gefesselten Entscheidungssystem hätten Vorschläge zur institutionellen Veränderung deshalb kaum Chancen zur Realisierung. Doch Resignation ist ein schlechter Ratgeber. Wenn das institutionelle System starr ist, muss der Blick auf Akteure und Bürger gerichtet werden. Da es Reformen ohne Last nicht geben kann, gehört zunächst die ehrliche und umfassende Information über die tatsächliche finanzielle Lage dazu. Mutige politische Führung in Regierungsverantwortung und in der Opposition stellt die Rettung des Kerns unseres Sozial- und Wohlfahrtsstaats ins Zentrum, um gleichzeitig dramatische Einschnitte für alle tragbar zu beschließen. Das längerfristige und zielbetonte Ideen-Management braucht auch begrifflich neue wärmende Leitideen gerade in Krisenzeiten. Wer es schafft, dem bevorstehenden bedeutenden politischen Verteilungs-Konflikt Ausdruck und Stimme zu verleihen, hat ein wichtiges Steuerungsinstrument in der Hand. Denn Sprache ist das zentrale Führungsinstrument der Politik. Kommunikation markiert das Nervensystem der Politik. Solche wertgebundene Führung, die nicht tagesbeliebig agiert, sondern einem nachvollziehbaren Krisen-Kompass folgt, eröffnet zusätzliche Handlungschancen. Populistische Lumpensammler finden immer Unzufriedene. Sie agieren ausschließlich publikumswirksam. Demokratische Führungsstärke verlangt hingegen viel mehr. Hierbei geht es um das Festhalten von Prioritäten und nicht um deren scheinbare Aufhebung. Das setzt jedoch auch bei den Bürgern ein Einverständnis voraus, nicht vorschnell den Tagessaldo oder die Inszenierungseffekte politisch zu belohnen. Gesucht wird somit der sichernde Leitbegriff, das Signum der kommenden Zeit. |