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Europäische Zeitung , Dezember 2002

Urnengang als Stabilitätsrisiko: Situation auf dem Balkan nach wie vor mit vielen Fragezeichen

Von Wim van Meurs


Kein Land auf dem Balkan hat den europäischen Politikern in den letzten Jahren so viele Sorgen bereitet wie Mazedonien. Während in den ehemaligen Krisengebieten Kosovo und Bosnien unter internationalem Protektorat just eine gewisse, wenn auch vielleicht trügerische Ruhe eingetreten war, explodierten die ersten Granaten in und um Tetovo. Entsprechend groß war die Erleichterung in den europäischen Hauptstädten, als am 15. September die Parlamentswahlen ohne größere Zwischenfälle über die Bühne gingen. Dabei zeichnet sich in dem Land, das seit der Unabhängigkeit von verschiedenen Koalitionen mit jeweils einer slawisch-mazedonischen und einer albanischen Partei regiert wird, ein Wechsel ab. Dem ehemaligen albanischen Rebellenführer Ali Ahmeti ist es gelungen, in die Bastion der politischen (und wirtschaftlichen) Macht einzudringen: Seine Demokratische Union für Integration ist mit 16 Mandaten größer als alle andere albanische Parteien zusammen. Bei den mazedonischen Parteien obsiegte die bisherige Opposition von Branko Crvenkovskis Sozialdemokraten. Ob diese Wahl den Bürgern Mazedoniens den sehnlichst erwünschten Aufschwung und Europa die erforderliche Stabilität auf dem Balkan bringt, ist jedoch eine offene Frage. Die neue Koalition hat sich der Implementierung des Ohrid-Abkommens und Wirtschaftsreformen verpflichtet, haben aber mit der Neuverteilung vieler lukrativen Posten angefangen ...

Aufreibender Herbst für die internationale Gemeinschaft

Der Herbst auf dem Balkan vor allem für die Internationalen nervenaufreibend. Innerhalb weniger Monate gab es in Serbien Präsidentschaftswahlen, in Kosovo Kommunalwahlen und in Mazedonien Parlamentswahlen. In Montenegro und Bosnien wird neben einem Präsidenten auch eine neue Legislative gewählt. Lediglich Albanien und Kroatien bleiben "verschont". Die Präsidentschafts- und Kommunalwahlen im EU-Beitrittsland Slowenien stehen auf einem anderen Blatt: Zwar verfehlte der heutige Regierungschef Janez Drnovsek die Nachfolge des "Staatsgründers" Milan Kucan am 10. November in der ersten Runde knapp mit 45 Prozent. Sein Sieg in der Stichwahl scheint sicher (auch mit den Stimmen des Euroskeptikers Zmago Jelincic (9 Prozent), aber auch ein Überraschungssieg der Generalstaatsanwältin Barbara Brezigar (31 Prozent) würde man in Brüssel gelassen sehen.
Während reibungslos verlaufene Wahlen und ein demokratischer Regierungswechsel Anfang der neunziger Jahre in Ostmitteleuropa als das demokratische Markenzeichen schlechthin galten, ist ein Urnengang in den Staaten südlich von Slowenien heutzutage fast als Stabilitätsrisiko verrufen. Die Präsidentschaftswahlen in Serbien schockierten die internationale Gemeinschaft mehr als einmal. Der erste Schock war das gute Abschneiden des Radikalnationalisten Vojislav Seselj, ehemaliger Weggefährte Milosevics. Er wurde in der ersten Runde mit 23 Prozent Dritter hinter dem jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica (31 Proznt) und dem liberalen Reformer Wirtschaftsminister Miroljub Labus (28 Prozent). Damit waren alle heimlich in Brüssel und Washington gehegten Hoffnungen, der liberale Labus könne dem national orientierten Kostunica den Schneid abkaufen, hinfällig: Seselj-Anhänger würden in der Stichwahl entweder dessen Rat befolgen und die Wahl boykottieren oder für Kostunica stimmen. Der größte Schock war jedoch, dass die nach dem serbischen Wahlrecht bei Stichwahlen erforderliche Mehrheit der Wahlberechtigten nicht zustande kam: Durch die 45 Prozent Wahlbeteiligung steht Kostunica zwar mit 66% als nächster Präsident Serbiens fest, rechtsgültig ist dies bestenfalls nach einer neuen Wahlrunde im Dezember. EU-Vermittler Javier Solana ließ umgehend verlauten, die Umsetzung des Belgrader Abkommens über die neue Union zwischen Serbien und Montenegro müsse trotzdem zügig vorangetrieben werden.

Demokratische Praxis auf dem Westbalkan

Diese jüngsten Beispiele aus der Praxis der Demokratie auf dem Westbalkan zeigen, wie sich die internationalen Zielsetzungen von Demokratisierung und Stabilisierung widersprechen können. Kürzlich äußerten in einer Umfrage über 80 Prozent der Rumänen die Meinung, Demokratie sei das beste politische System - ein Ergebnis, das nach dem 28 prozentigem Erfolg des Rechtsextremisten Corneliu Vadim Tudor bei den letzten Wahlen nicht selbstverständlich ist. Eine kaum geringere Mehrheit war aber auch der Meinung, dass eine Regierung, die "eine richtige Politik" macht, daran von demokratischen Institutionen wie Parlament oder Verfassungsgericht nicht gehindert werden sollte! Gewisserweise teilt aber die internationale Gemeinschaft dieses "Demokratieverständnis", wenn die "Launen" und die "Protestanwandlungen" des Wahlvolkes kontinuierliche Reform- und Stabilisierungsstrategien für die Region durchkreuzen.

Demokratie als Schattenspiel

Die entscheidenden Weichenstellungen für die Transformationspolitik werden oftmals beim IWF in Washington oder der EU in Brüssel vorgenommen werden. Gleichzeitig gibt es in der Region, anders als in den EU-Beitrittsländern Ostmitteleuropas, keine solide Mehrheit der Reformbefürworter, die dafür sorgt, dass ein Regierungswechsel nicht Reformstillstand bedeutet. Zu der ehernen Regel, dass Reformkoalitionen nicht wiedergewählt werden, gibt es bislang nur eine Ausnahme: Milo Djukanovic in Montenegro. Nachdem er als "Erfinder" der Idee der montenegrinischen Unabhängigkeit sich im März dem Willen Javier Solanas gebeugt und das Abkommen mit Belgrad unterschrieben hatte, schrieen sowohl dogmatische Unabhängigkeitsbefürworter in der eigenen Koalition als auch die pro-jugoslawischen Konservativen "Verrat!" Als sich herausstellte, dass die Bevölkerung vor allem die stetig wachsende Arbeitslosigkeit umtreibt und als Unabhängigkeitsgegner und -protagonisten sich aus machtpolitischem Kalkül gegen den Präsidenten zu verbändeln drohten, stieg dessen Stern wieder. Nach den Parlamentswahlen vom 20. Oktober, die er mit knapp 50 Prozent gewann, ist es ihm überlassen, ob er jetzt Regierungschef wird oder bei den Präsidentschaftswahlen in Dezember nochmals antritt.

Dagegen waren die Lokalwahlen in Kosovo ein Extrembeispiel der Demokratie als Schattenspiel. Zwar hat Kosovo seit diesem Jahr eine eigene Regierung, aber die wirklich bedeutsamen Kompetenzen (Budget, Außen- und Wirtschaftspolitik) sind in den trauten Händen des UN-Verwalters Michael Steiner. Somit sind Souveränitätsfragen im Parlament tabu, haben die großen albanischen Parteien aber auch kaum Gelegenheit, sich über Reformpolitik zu profilieren. So entsteht, was der kosovarische Journalist Veton Surroi als "schweigende Mehrheit" bezeichnet - die fast 50 Prozent, die entweder nicht wählten oder (im Falle der serbischen Minderheit) die Wahlen boykottierten. Die Albaner wählen nach parteipolitischer Loyalität, kaum nach der Leistungsbilanz der Politiker in der letzten Legislaturperiode. Präsident Kostunica hatte die Serben im Kosovo dazu aufgerufen, nur in den Kommunen zur Wahl zu gehen, wo die Serben in der Mehrheit sind, und durchkreuzte damit Michael Steiners Strategie, die serbische Minderheit über Wahlen an dem Projekt Kosovo zu beteiligen. Premier Zoran Djindjic hat in dem Sinne alle Serben zum Urnengang ermutigt, während Seselj einen Boykott forderte. Mancherorts gaben fast 80 Prozent der Serben ihren Stimmzettel ab, in anderen Kommunen weniger als 1 Prozent - im Schnitt aber nur 27 Prozent.
"Nach der Wahl ist vor der Wahl" ist die resignierende Feststellung gerade vieler jungen Wähler: Politiker bewegen sich zwischen der Politikverdrossenheit der Bürger und der Außensteuerung der Internationalen. Jede Wahl birgt das Risiko einer Protestwahl gegen Reformen oder einer populistischen Flucht in nationale Lager in sich, die beide die gedrängte Agenda von Transformation und Integration für diese ehemalige Krisenregion gefährden könnte. Deswegen schlagt sich die internationale Gemeinschaft auf die Seite der gemäßigten und der Reformer und hofft das Beste. Der bulgarische Demokratieexperte Ivan Krastev hat dieses Dilemma auf den Punkt gebracht: Die Politiker seien zwar ins Wahlvolk verliebt, aber mit der internationalen Gemeinschaft verheiratet.


   
           
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Aktualisiert am: 13.01.2003   Impressum | Design by [meteme.de]   Seite drucken | Seitenanfang