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Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06. Juni 2002 Die Erweiterung setzt der Teilung Europas ein EndeNoch ist der Streit um die Verteilung der Kosten nicht beigelegt Von Josep Piqué, Außenminister des Königreiches Spanien Die Geschichte des europäischen Aufbauwerks läßt sich als Reihe aufeinanderfolgender Schritte auf dem Pfad der Vertiefung der Integration des Kontinentes betrachten. Gerade heute stehen wir vor einem besonders weitreichenden und symbolischen Schritt auf dem langen Weg zur Vereinigung. Der Schritt ist symbolträchtig, weil die erfolgreiche Erweiterung einen Schlußpunkt unter die Teilung Europas setzt; er ist weitreichend wegen der Komplexität des Prozesses. Die EU stellt der Beitritt von dreizehn äußerst unterschiedlichen Kandidaten vor eine Herausforderung, welche die gegenwärtigen Mitgliedstaaten verantwortlich meistern müssen. Für die Beitrittsländer besonders in Mittel- und Osteuropa bedeutet er andererseits, daß sie parallel zu der tiefgreifenden Umstrukturierung in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft schwierige Verhandlungen führen müssen. Daher ist es eine Aufgabe politischer Verantwortung, zu untersuchen, vor welchen Herausforderungen die Mitgliedstaaten bei diesem Prozeß der Erweiterung stehen: Herausforderungen kurzfristiger Art, mit Blick auf die Verhandlungen in den kommenden Monaten und besonders den Europäischen Rat von Sevilla, und Herausforderungen mittelfristiger Natur, die sich einer erweiterten Union stellen werden. Was den gegenwärtigen Stand der Verhandlungen anbelangt, so gibt es beachtliche Fortschritte. Dennoch gibt es insbesondere in den Kapiteln, die finanzielle Konsequenzen mit sich bringen, viele Meinungsverschiedenheiten unter den alten Mitgliedstaaten, welche die Aufnahme neuer Mitglieder erschweren könnten. Eines der grundlegenden Verhandlungsprinzipien lautet, daß die Verhandlungen auf der Basis des gegenwärtigen Besitzstandes stattfinden, künftige Reformen der Gemeinschaftspolitiken also nicht vorwegnehmen dürfen. Über die technischen Fragen hinaus ist es notwendig, daß die Mitgliedstaaten mit dem Verantwortungsgefühl und der Weitsicht agieren, die die historische Tragweite der Erweiterung erfordert. Es ist unrealistisch zu verlangen, daß die Erweiterung nicht dem einen oder anderen der gegenwärtigen EU-Partner Kosten aufbürden wird. Genauso wäre es unfair, dafür einzutreten, daß diese Kosten nicht gerecht - was nicht bedeutet, zu gleichen Teilen - auf die Mitgliedstaaten verteilt werden. Andererseits würde die EU eine einzigartige Chance verspielen, größeres politisches Gewicht zu erlangen, wenn sie sich, anstatt mit souveränen Staaten zu verhandeln, darauf beschränkte, den Kandidatenländern einen Beitrittsvertrag vorzulegen, der deren legitime Interessen und Sorgen nicht berücksichtigte. Darüber hinaus gibt es Schwierigkeiten, die getrennt zu lösen sind, die aber für den Erfolg der Erweiterung wichtig sind. Dazu gehört der Zypern-Konflikt, bei dem die EU die Bemühungen der Vereinten Nationen um eine politische Einigung nachdrücklich unterstützt. Für Rumänien und Bulgarien gilt es zu bekräftigen, daß die Verhandlungen unter den Leitprinzipien der Unumkehrbarkeit, der Inklusivität und der Gleichbehandlung stehen. Der Europäische Rat von Sevilla wird daher nach Wegen suchen, ihre Beitrittsgesuche abermals zu bestätigen. Mit Blick auf die Türkei schließlich muß die EU die politischen Reformen fördern und unterstützen, da der Übergang zu den späteren Phasen des Prozesses, zu denen auch Beitrittsverhandlungen gehören, ausschließlich davon abhängt, ob die Türkei die politischen Kriterien erfüllt. Die bisherigen Fortschritte sind vielversprechend, aber die in Angriff genommenen Reformen müssen auch in der Praxis zu erkennen sein. Das Verantwortungsgefühl der EU läßt uns darauf vertrauen, daß wir die noch vorhandenen Hürden auf dem Weg zur Erweiterung in den kommenden Monaten bewältigen werden, um im vorgesehenen Zeitplan zu bleiben und am 1. Januar 2004 der Aufnahme der ersten Kandidaten beizuwohnen. Diese Fortschritte werden um so notwendiger, wenn wir die Aufgaben betrachten, die sich der EU mittelfristig stellen. Zunächst stellen die Reformen, die der Beitritt zur Union erfordert, den besten Anreiz dar, den Wandlungsprozeß in den Ländern Mittel- und Osteuropas zu vertiefen. Außerdem entsteht mit der Erweiterung der größte Handelsblock der Welt. Die Vorteile eines auf rund 500 Millionen Einwohner erweiterten Binnenmarktes liegen in einer sich globalisierenden Welt auf der Hand. Und dann ist es im internationalen Kontext nach dem 11. September unerläßlich, das gesamte Potential und die Synergieeffekte einer verstärkten Zusammenarbeit mit möglichst vielen Ländern für den Kampf gegen den Terrorismus zu nutzen. Die technischen und finanziellen Schwierigkeiten während der Verhandlungen dürfen nicht als Bremse wirken, sondern als ein Anreiz dafür, daß die Erweiterung gelingt. Im Bewußtsein der historischen Tragweite dieses Prozesses verleiht die spanische EU-Ratspräsidentschaft der Erweiterung einen entscheidenden Antrieb, indem sie alles in ihrer Kraft Stehende tut, um in all den im Fahrplan der Erweiterung genannten Kapiteln zu gemeinsamen Positionen zu gelangen. Wir erwarten, daß wir dabei auf die Rückendeckung der anderen Mitgliedstaaten zählen können und daß die kommende dänische EU-Ratspräsidentschaft die Bemühungen in diesem Prozeß fortsetzen wird. Dieser Text beruht auf einer Rede, die auf dem von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und dem Deutschland-Radio Berlin zusammen mit dem Centrum für angewandte Politikforschung veranstalteten Forum Fazit: Europa in Berlin gehalten wurde. |