Frankfurter
Allgemeine Zeitung, 15. Februar 2002
Graduelle Gewichtsverlagerung
Helmut Kohls persönliches Regiment in der deutschen Außenpolitik
Stefan Fröhlich: "Auf den Kanzler kommt es an": Helmut
Kohl und die deutsche Außenpolitik; persönliches Regiment und
Regierungshandeln vom Amtsantritt bis zur Wiedervereinigung, Schöningh
Verlag: Paderborn u.a., 311 Seiten. 25,40 Euro
Von Karl-Rudolf
Korte
Die deutschen Bundeskanzler starteten alle als exzellente Kenner der
Innenpolitik. In der Amtszeit profilierten sie sich zu Außenpolitikern.
Für den derzeitigen Kanzler Schröder trifft das ebenso zu wie
auf seinen Vorgänger Helmut Kohl. Das ist nicht auf ein gewachsenes
persönliches Interesse an der Außenpolitik zurückzuführen,
sondern hat machtpolitische Hintergründe. Außenpolitik kann
ihren ganzen Charme voll entfalten: sie stellt den Kanzler ins Rampenlicht
des politischen Geschehens. Die Grundthese des Bonner Politikwissenschaftlers
Stefan Fröhlich klingt deshalb plausibel: er unterstellt eine graduelle
Gewichtsverlagerung in der Außenpolitik der Ära Kohl/Genscher
(1982 bis 1990) vom Auswärtigen Amt hin zu einer verstärkten
Führungsrolle des Kanzlers mit seinem Bundeskanzleramt.
Die Kanzler pochten häufig gleich zu Beginn ihrer Amtszeit auf die
Durchsetzung des Kanzlerprinzips gegenüber dem Ressortprinzip, besonders
gegenüber dem Auswärtigen Amt. Kohl machte da keine Ausnahme.
Hinzu kam eine koalitionspolitische Herausforderung für den Kanzler,
der in der Regel nicht dem kleineren Koalitionspartner das außenpolitische
Terrain als Profilierungsfläche alleine überlassen wollte. Im
Auswärtigen Amt blickte man häufig mit Mißtrauen auf die
eigensinnigen, zunehmend einflussreichen Ansprechpartner im Kanzleramt.
Kohl brach 1982 mit der Tradition einen Diplomaten aus dem Auswärtigen
Amt zum Abteilungsleiter zu machen. Horst Teltschik war kein Berufsdiplomat.
Die Wahl Teltschiks war ein Signal, womit Kohl von Beginn an Anspruch
auf ein außenpolitisches Eigenprofil erhob.
Man erfährt solche Hintergründe zunächst im ersten institutionellen
Teil der Studie. Darin wird das Kanzleramt als zentrale Leitungs- und
Koordinationsinstitution des Regierungschefs charakterisiert. Andere Ressorts,
die an der außenpolitischen Willensbildungs- und Entscheidungsstruktur
beteiligt waren, kommen auch zu ihrem Recht. Außenpolitisches Regieren
wird somit für den Untersuchungszeitrum der 80er Jahre institutionell
präzisiert.
Im zweiten, policy-orientierten Teil sucht sich Fröhlich drei ausgewählte
Politikfelder: die Rüstungskontrollpolitik, die Europapolitik und
die Deutschlandpolitik. Am ausführlichsten werden dabei die europapolitischen
Entscheidungsprozesse von der damalig so beschriebenen Eurosklerose bis
zum Maastrichter-Vertrag fallstudienhaft vorgeführt. In allen drei
Politikfeldern kommt Fröhlich zum Ergebnis, dass Kohl gleich zu Beginn
an, einen außenpolitischen Führungsanspruch reklamierte. Zwar
leistete das Außenamt nach wie vor die inhaltliche und konzeptionelle
Vorarbeit mit. Doch die wesentlichen Akzente setzte das Kanzleramt besonders
in Kooperation mit dem Pariser Elysée. Etwas anders akzentuiert
stellt sich das Bild in der Rüstungspolitik dar. Hier besaß
Genscher ein untrügliches Gespür für Themenagenda und innenpolitische
Rückwirkungen. Genscher personifizierte den Abrüstungs- und
Entspannungsprozeß und konfrontierte den Kanzler mit vollendeten
Tatsachen. Wiederum anders verhielt sich die Lage deutschlandpolitisch.
Für Kohl war Deutschlandpolitik von Beginn an Chefsache, jedoch erst
ab Ende 1989 auch operative Wiedervereinigungspolitik.
Außenpolitik war eine zentrale Machtressource des Kanzleramtes,
wie Fröhlich nachweist. Sie ist Reservat der Exekutive. Dass auch
Kohl deshalb die Domäne der Außenpolitik für sich reklamierten,
ist nachvollziehbar. Entscheidend für die Bedeutung des Kanzleramtes
als Machtquelle in der Außenpolitik war nicht allein das außenpolitische
Klima, das mal zupackende und weichenstellende Entscheidungen verlangte
oder ein anderes mal eher die stille Alltagsdiplomatie. Hinzukommen musste
immer die besondere machtpolitische Konstellation innerhalb der Koalition.
Ein doppeltes Spannungsverhältnis ist eingebaut: zum einen zwischen
Bundeskanzler und Ressortminister und zum anderen zwischen den Koalitionsparteien.
Mal überließ das Kanzleramt fast unbeteiligt große Politikfelder
wie z. B. den KSZE-Prozeß dem Außenministerium. Mal stellte
das Kanzleramt wie beim 10-Punkte-Programm auch den Außenminister
vor vollendete Tatsachen und drängte ihn in eine Nebenrolle. Fröhlich
zeigt somit präzise akteursspezifisches Handeln im systembedingten
Umfeld. Regierungshandeln hat nach seinem Verständnis auch mit handelnden
Akteure zu tun. Gerade dieses methodische Herangehen zeichnet die Studie
politikwissenschaftlich aus.
Die Konzentration auf die Außenpolitik fördert die Regierungssteuerung.
Außenpolitik ist jedoch keinesfalls wahlentscheidend - ganz im Gegenteil.
Das Renommee des Regierungschefs kann nicht in Stimmenmaximierung umgesetzt
werden. Von dieser Regel stellte auch Kanzler Kohl keine Ausnahme dar.
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