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FAZ vom 22. Januar 2002 Autorität des SchweigensDie CDU unter und nach Kohl: Machteitelkeiten und Misstrauen Rezension: Gerd Langguth: Das Innenleben der Macht. Krise und Zukunft der CDU, Ullstein Verlag:
Berlin 2001, 328 Seiten, 21,- Euro Über 25 Jahre lang bestimmte der Parteivorsitzende Helmut Kohl die politischen Geschicke der CDU. Wer sich mit dieser Partei analytisch auseinandersetzen will, ist somit gut beraten, sich mit den Führungspraktiken des Vorsitzenden auseinander zusetzen. Wissenschaftliche Untersuchungen zum Regierungsstil der deutschen Kanzler und zur Entscheidungspraxis einer großen Volkspartei sind noch immer Mangelware. Gerd Langguth hat akribisch Material gesammelt und lesefreundlich gerade in dem Bereich aufgearbeitet, der den persönlichen Stil des Alt-Kanzlers gut sichtbar macht. So entwirft der Autor eine Architektur der Macht im ersten Drittel des Buches. Als integraler Parteipolitiker fußte Kohls politische Macht auf der Verankerung in der Union. Macht ist jedoch von Konstellationen abhängig, so dass der Machterwerb und die Machtsicherung tagespolitischer Integrationswerke bedarf. Kohl regierte - auf dem Fundament seiner Partei - vermittelt durch Personen seines Netzwerkes. Langguth verwendet deshalb sehr viele Seite, um die Einzelakteure des Frühwarnsystems um Kohl herum zu profilieren. So etwas ist als distanzierter Insider teilweise problematisch. Denn der Autor gehörte über viele Jahre auch zur politischen Familie von Kohl. Als ehemaliges Mitglied des CDU-Bundesvorstands, zweier Grundsatzprogramm-Kommissionen und zahlreicher Ausschüsse verfügte er jahrzehntelang selber über Insiderkenntnisse der CDU. So wird es vermutlich auch einige der charakterisierten Personen ärgern, wie schonungslos Langguth Stärken und Schwächen charakterisiert. Alle Akteure erscheinen im rein funktionalen Kontext des Kohl'schen Machtverständnisses. Doch ein Rachebericht gegenüber ehemaligen Weggefährten ist das nicht. Abgeklärt werden äußerst systematisch die Kontexte des Machtapparates im Detail geschildert. Einige Passagen laden zum Schmunzeln ein, wenn zeitgeschichtliche Größen mit ihren persönlichen Machteitelkeiten vorgeführt werden. Akteursspezifisch wird somit ausgeleuchtet, was innerhalb der systembedingten Führungsämter in Partei und Kanzleramt möglich war. Den zweiten Teil des Buches prägt die Analyse der CDU nach dem Wahlverlust von 1998. Das ganze Ausmaß des Spendenskandals, die personellen Verwerfungen, das Ringen um eine Oppositionsrolle werden anschaulich dokumentiert und in Erinnerung gerufen. Aufstieg und Fall einer Volkspartei hätten nicht dichter beieinander liegen können, wie in den Jahren 1998 bis 2000. Langguth nutzt die internen Auseinandersetzungen um die Chancen der Union - seinem dritten Schwerpunkt - zukünftig zu vermessen. Dabei taucht der Begriff der Führung auch wiederholt auf. Kohl besaß ein Gespür für den Minimalkonsens. Hier zeigte sich das eigentliche Metier des Helmut Kohl: Die Notwendigkeit und Aufgabe der Integration ganz unterschiedlicher Interessen und Temperamente. Wenn er als Schlichter des Konflikts auftreten konnte, bewies er Führungsstärke. Wenn es nichts mehr oder noch nichts zu schlichten gab, sah er sich mit dem Vorwurf der Führungs-schwäche konfrontiert. Oft hing das stille Regieren vom angemessenen Timing ab. Seine Entscheidungen fielen zu einem Zeitpunkt, den er selbst bestimmte. Dabei ließ er sich oft vom Prinzip leiten: Nichts erhöht die Autorität mehr als Schweigen. Mit dem Vorwurf der Führungsschwäche müssen auch alle Nachfolger leben: Angela Merkel als Parteivorsitzende und Friedrich Merz als Fraktionsvorsitzende. Der Rückblick auf die Kohl-Ära macht klar, wie wenig aussagekräftig derartige generellen Vorwürfe sind. Ebenso wird sichtbar, welch große Leistung dahintersteckt, eine Volkspartei nach dem Verlust der Macht überhaupt zusammenzuhalten. In Italien, Belgien, Holland, Großbritannien sind die bürgerlich-konservativen Kräfte marginalisiert. Hierzulande scheint die Union mit neuen Lebensgeistern seit Schröders Vertrauensfrage versehen. Das Profil der neuen Union hat bei Langguth noch keine kräftige Farbe. Die Vorsitzende moderiert für die Großfamilie der CDU eine traditionsbezogene Moderne. Beim Dresdener Parteitag bezeichnete Merkel dies als Spannungsbogen zwischen "Globalisierung und Verwurzelung". Auf die "K-Frage" lässt sich der Autor nicht konkret ein. Er überlässt dem Leser die Schlussfolgerungen. Merkels Misstrauen - ein DDR-Vermächtnis - behinderte bislang den tatkräftigen auch nach außen sichtbaren Bau von stabilen Netzwerken innerhalb der Partei. Im Kontrast dazu wird der frühe Kohl angeführt, der es meisterhaft verstand, Chefvordenker nicht nur für sich zu begeistern, sondern sie auch über viele Jahre als Unterstützer seiner politischen Macht einzubauen. Insofern ist die Studie zum Innenleben der Macht gerade durch den zeitgeschichtlichen Längsschnitt äußerst hilfreich zur Politikberatung einer frisch animierten Oppositionspartei. |