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Focus vom 5. November 2001

Die Bürger als Schnäppchen-Jäger

Wie die Deutschen mit Anti-Terror-Gesetzen umgehen

Von Karl-Rudolf Korte


Die Terroranschläge vom 11. September hatten auch eine biographisch-existentielle Wucht. Ebenso wie beim Fall der Mauer wird sich vermutlich noch Jahrzehnte später jeder erinnern können, in welcher konkreten Lebenslage er mit den Schreckensbildern konfrontiert wurde. Historisch-politische Ereignisse dieser Qualität verändern nicht nur die Wahrnehmung, sondern beeinflussen auch die Zukunftserwartungen.

Wie wird sich Deutschland nach den Anschlägen verändern? Medien befürchten, dass Deutschland mit den Antiterror-Gesetzespaketen die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit verlässt. Traditionelle Muster unserer Deutungskultur erleben eine Renaissance: Der deutsche Polizei-, Überwachungs- und Obrigkeitsstaat kehrt zurück.

Deutsche als Kostüm-Demokraten? Die Vorurteile aus der Nachkriegszeit sind noch da, passen jedoch längst nicht mehr zur heutigen Gesellschaft. Trendbeobachter ziehen daher neue Schlüsse: Nach dem 11. September kehrt das Primat der Politik zurück. Vom Diktat der Märkte, dem Vorrang der Wirtschaft gegenüber der Politik, ist hingegen derzeit wenig zu hören. Die Bürger besinnen sich auf die Urfunktion des Nationalstaats, Frieden und Daseinsvorsorge verlässlich zu sichern. Sie erwarten von ihrer Regierung, konkret vom Kanzler und seinem Sicherheits-Innenminister, eine schützende Risikovorsorge. Zum Vorrang der Politik gesellt sich das Primat der Sicherheit. In der modernen Aufregungsdemokratie Deutschlands bleibt dies sicher nicht nur eine Momentaufnahme. Allein deshalb, weil ausgeprägte Sicherheitsbedürfnisse - die Vollkasko-Mentalität - hier schon immer vorherrschten.

Reduziert man wahlbestimmende Themen der vergangenen Monate auf ihren Kerngehalt, dann bleibt eine Botschaft übrig: Lebenszufriedenheit und Sicherheitsbedarf. Damit ist nicht nur die aktuell diskutierte äußere und innere Sicherheit gemeint, sondern auch die Sicherheit als Arbeitnehmer, die Sicherheit als Konsument und Verbraucher.

Unsicherheit prägte viele Generationen in West- und Ostdeutschland. Stabilitätserwartungen sind deshalb ebenso ausgeprägt wie Innovationskritik. Es verwundert daher nicht, dass die Anti-Terror-Gesetze nur in Minderheitenmilieus zum Angstbild des Überwachungsstaates führen. Zumal wenig dafür spricht, dass wieder eine traditionelle Sicherheitsgesellschaft mit obrigkeitsstaatlicher Prägung wieder entstehen könnte. Davor schützt eine Pluralisierung von Lebensstilen und Milieus, in denen mehrheitlich eine individuelle Selbstverwirklichung mit einem größeren Spaß- und Erlebnisfaktor längst ins Zentrum gerückt ist.

Die Deutschen sind Schnäppchen-Jäger: Sie kalkulieren kurzfristig und akzeptieren nur eine Politik, bei der ihnen momentan die Chancen individueller Selbstverwirklichung am größten erscheinen. Die "andere Sicherheitsgesellschaft" nach dem 11. September wird somit eine Beschränkung individueller Freiheitsrechte nur insoweit tolerieren, wie es angesichts von Risikoerwägungen zeitlich angemessen und bequem erscheint. Pragmatismus und Nützlichkeitsdenken fordern von der Politik ihren Tribut. Belohnt wird der tägliche Saldo an Vor- und Nachteilen für den Einzelnen. Situativ und vollkommen unideologisch wird abgebucht, was an Einschränkungen von Bürgerrechten hinzunehmen ist. Da sind keine Kulturkämpfe wie in Zeiten der Volksbefragung der 80er Jahre zu erwarten.

Allerdings garantieren die heutigen Zeiten für die Regierung keine verlässliche Stimmung, um Bürgerrechte in Notzeiten noch wesentlich mehr einschränken zu können. Denn täglich ist mit Gegen-Trends zu rechnen. Viele überlegen dann: Behindert das Sicherheitspaket im Alltag mein Bedürfnis nach Erlebniseinkauf? Von welchem Punkt an schränken die Antiterrorgesetze meinen Mobilitätsdrang ein? Auf welche Weise verlangsamen die Überwachungsmaßnahmen meine Überweisungen bei der Bank?

Das sind die Fragen einer Generation, die Schröder in seiner Regierungserklärung 1998 als in der "Tradition von Bürgersinn und Zivilcourage stehend" zutreffend charakterisierte. Das ist die andere Seite der Sicherheitsgesellschaft der Berliner Republik.


   
           
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Aktualisiert am: 05.12.2002   Impressum | Design by [meteme.de]   Seite drucken | Seitenanfang