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Handelsblatt
vom 11. Oktober 2001
Regieren im Schatten des Krieges
Von Karl-Rudolf
Korte
Einen Crashkurs in politischer Führung braucht Bundeskanzler Schröder
diesmal nicht. Anders als beim Kosovo-Krieg, gleich zu Beginn seiner Amtszeit,
kann er auf Routine im Krisenmanagement bei der Anti-Terror-Allianz setzen.
Krisenzeiten schweißen zusammen. Sie sind immer gouvernemental.
Schröder aktivierte beim Regierungshandeln im Schatten des Krieges
präsidentiell und entschlossen den Bundessicherheitsrat, die Information
der Spitzenakteure des Deutschen Bundestages und den Chef des Kanzleramtes
als neuen Koordinator der Sicherheitsmaßnahmen.
Doch solche populären Erfolgsszenarien des Regierungschefs sind
in der Demokratie immer trügerisch. Macht muss durch Einfluss täglich
gesichert werden. Stimmungen wenden sich scheinbar unbeeindruckt von Leistungen
gegen den Amtsinhaber. Wähler wählen nicht aus Dankbarkeit,
sondern zukunftsorientiert. Die neue Anti-Terror-Allianz ermöglichte
es Kanzler Schröder das Stimmungstief seiner Regierung vor dem 11.
September zu verlassen. Wie lässt sich die neu gewonnene Popularität
der Regierung bis zum Wahltag verlängern, ohne auf Sicherheitsszenarien
zu setzen?
Um das zu beantworten sind, ist Schröders Führungsverhalten
als Regierungschef einzuordnen. Drei Komponenten sind es, die seinen Regierungsstil
bisher unverwechselbar prägen. Ihnen verdankt der Kanzler einen Großteil
seines Erfolges. Schröder ist Multi-Options-Pragmatiker, Umarmungskünstler
und Tageskanzler. Drei Ebenen sind damit verzahnt, die Schröder auch
in der augenblicklichen Sicherheitslage gleichermaßen strategisch
spielerisch instrumentalisiert: die Parteiendemokratie, die Verhandlungsdemokratie
und schließlich die Mediendemokratie.
Multi-Options-Pragmatiker
Zunächst tastet der Kanzler inhaltlich Spielräume ab. Stößt
das Regieren auf öffentlichen Widerstand, werden neue Optionen gesucht
- ein besonderes Kennzeichen einer kulturellen Teflonschicht der Politik,
an der alles abtropft und alles in neuer Beliebigkeit unbestimmt bleibt.
Multi-Options-Kanzler wählen problemorientiertes, kurzes, temporäres
Engagement mit Allianzen auf Zeit als adäquate Antwort auf die Volatilität
der Wähler und knappe Mehrheiten. Die Pragmatiker des Augenblicks
frönen der Tugend der Orientierungslosigkeit. Mal werden mit dem
Betriebsverfassungsgesetz die SPD-Traditionsbataillone befriedigt, mal
hofiert der Kanzler mit der Green-Card-Initiative die Unternehmer. Dabei
muss in der Parteiendemokratie zumindest die Regierungspartei dem Kanzler
folgen. Nach Lafontaines vorzeitiger Niederlegung aller politischer Ämter
schuf die Einführung eines Generalsekretärs die Voraussetzungen
für einen weiteren Machtgewinn Schröders. Der Generalsekretär
diszipliniert seither erfolgreich das geordnete Schweigen der Partei.
Der Enttraditionalisierung der SPD-Programmatik folgte die Enttraditionalisierung
der Parteistruktur. Die programmatische Abrüstung der Partei in der
Regierungsverantwortung schreitet voran. Mittlerweile zeigt die Gründung
des neuen "Netzwerk 2010", wie sich die sogenannte junge Neue
Mitte auch innerhalb der Fraktion verselbständigt. Sie fügt
sich in das Multi-Options-Modell: unideologisch, problemorientiert, regierungsnah.
Schröder positioniert sich nicht nur im Wirtschaftsbereich auf den
ureigensten Kompetenzfeldern der Union. Er wildert auch im Bereich der
wertkonservativen Themen aktuell im Feld der Inneren und Äußeren
Sicherheit und der Asylpolitik. Kann er das Thema der Union nicht im Handstreich
nehmen, dann inszeniert er innerhalb des rot-grünen Meinungsspektrums
seine eigene Opposition, wie im Fall der Biopolitik. All das entspringt
einer Pragmatik des Augenblicks, die machterhaltend und problemlösend,
jedoch vollständig traditionslos im Sinne des sozialdemokratischen
Programm-Milieus agiert. Selbst der Vorwurf des Populismus scheint nicht
zu greifen, denn warum sollte ein Kanzler nicht seine Meinung ändern,
wenn er auf des Volkes Stimme hört - noch dazu wenn er damit den
Ton der ernüchterten Gesellschaft voll getroffen hat?
Umarmungskünstler
Die zweite Komponente des Regierungsstil erhält seine Nahrung aus
dem Stoff der Verhandlungsdemokratie. Gemeint ist eine Steuerung durch
Integration von Interessengruppen und Konsens der Beteiligten - außerhalb
des Bundestages. Durch Netzwerk-Pflege sollen Entscheidungsblockaden verhindert
werden. Dieser Regierungsstil beruht auf dem Konsens der Betroffenen -
und eben nicht nur in Anti-Terror-Zeiten. Wer diesen Konsens zustande
bringt, in der Regel ja ein Konsens, der ihm selbst auch nicht gerade
schadet, der übt seine Macht auf sanfte Weise aus. Mit dem Versprechen,
den Runden Tisch, Bündnisse auf Zeit, Ethikräte, Kanzlerrunden
etc. zu etablieren, pflegt Schröder durchaus den korporatistischen
Führungsstil seines Vorgängers. Der Kanzler nutzt den Wunsch
in der Bevölkerung nach dem Konsens der Mächtigen, der zu organisieren
ist und betätigt sich als Umarmungskünster. Das geht viel weiter
als bei Kohl, weil der SPD-Kanzler auch eine Vielzahl von Sonderbeauftragten
ernannt hat (von der Zuwanderungsfrage über die Zwangsarbeiter-Entschädigung
bis zum MKS-Krisenstab), die gezielt nicht der Kanzlerpartei entstammen.
Tageskanzlertum
Schließlich bedient sich Schröder auch aktiv der Handlungschancen
der Mediendemokratie.Telepolitik bedeutet Regieren in der Publikumsgesellschaft.
Entscheidungen sollen über Stimmungen herbeigeführt werden.
Telepolitik umfasst jedoch nicht nur die medienwirksame Darstellung der
Politik, vor allem medienadressierte Personalisierung. Was sie zum Stilmittel
des Tageskanzlertum macht, ist das permanente Regieren im Wahlkampfstil.
Tägliche Umfragen, extreme Demoskopiefixierung sichern die Rückbindung
an fluide Wählerstimmungen. Das "Prinzip Direkt" ist äußerst
flexibel und baut auf telegenen Schwung.
Fazit: Multi-Options-Pragmatismus, Umarmungskünstler und Tageskanzlertum
- dies aktiviert der Kanzler in spielerischer Verzahnung. Die routinierte
Anwendung aller drei Elemente seines Regierungsstils kommen Schröder
gerade in der jetzigen Krisenzeit zu gute. Anders als beim Vorgänger
Kohl, der vitalen Verkörperung der Parteiendemokratie, dominiert
bei Schröder verlässlich gerade keine der drei Handlungsebenen.
Das scheint eine treffende Rezeptur zu sein. Doch zu ihren Erfolgsbedingungen
gehören auch: eine fehlende geschlossen agierende parlamentarische
Opposition, weiterhin neugieriges Interesse am Kanzler, glückliche
Zufälle (wie beispielsweise das Ausscheiden von Lafontaine) und ein
kultureller Trend, der den täglichen Saldo belohnt und keine Sinnstiftung
einfordert.
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