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Europäische Zeitung, Juli/August 2001 Wenig Raum für eigene AkzenteDie Bilanz der schwedischen Ratspräsidentschaft Von Claus Giering Für Schweden galt es, mit seiner ersten EU-Ratspräsidentschaft seit dem Beitritt 1995 den europapolitischen Elchtest zu bestehen. Denn neben organisatorischen Aufgaben und der Außenvertretung muss die Ratspräsidentschaft laufende Gemeinschaftsvorhaben vorantreiben, divergierende Interessen als "ehrlicher Makler" in Einklang bringen und - gegebenenfalls unter Zurückstellung eigener Interessen - eine europäische Perspektive wahren. Die Bilanz einer Präsidentschaft ist zugleich eine Übersicht über Defizite und Fortschritte der europäischen Integration, in der jede Regierung ihre eigenen Akzente setzen möchte. So auch Schweden, das mit den drei Themen Erweiterung, Beschäftigung und Umwelt hoffte, im ersten Halbjahr 2001 seine zunehmend skeptischen Bürger wieder für Europa begeistern zu können. Deshalb wurde auch ein Teil der Ratssitzungen über das ganze Land verstreut abgehalten und jeweils mit einer Informationsinitiative verbunden. Diese Art der Bürgernähe scheint Erfolg gehabt zu haben, denn Umfragen gegen Ende der Präsidentschaft ergaben eine ansteigende Tendenz der Zustimmung zu Europa. Einzig die EU-Erweiterung wurde in Schweden von vornherein positiver als in weiten Teilen der Union eingeschätzt. Ganz in diesem Sinne wurde größter Wert darauf gelegt, möglichst viele der insgesamt 31 Verhandlungskapitel zum Abschluss zu bringen. Doch der Wunsch nach zahlreichen Übergangsregelungen von Seiten der Mitgliedstaaten wie der Kandidaten drohte die Verhandlungen zwischenzeitlich zurückzuwerfen. Vor allem in der Frage der Freizügigkeit der Arbeitnehmer sowie dem Erwerb von Grundbesitz schienen sich unüberbrückbare Gräben aufzutun. Im Zusammenspiel mit der Kommission konnte Schweden aber gangbare Kompromisse finden, so dass inzwischen zehn der zwölf Kandidaten mehr als die Hälfte und einige davon bereits zwei Drittel der Kapitel vorläufig abschließen konnten. Einen weiteren Schwerpunkt stellte die Sozial- und Wirtschaftspolitik dar. Auf dem März-Gipfel von Stockholm wurde der ein Jahr zuvor eingeleitete "Lissabon-Prozess" - Übergang zur Wissensökonomie, innovationsfördernde Wirtschaftsreformen und Modernisierung des europäischen Sozialmodells - um das Problem der demografischen Entwicklung, die Rolle der Biotechnologie sowie die Einbeziehung der Beitrittskandidaten ergänzt. In der Beschäftigungspolitik einigten sich die Staats- und Regierungschefs zudem auf das Ziel der Erhöhung der Erwerbsquoten sowie auf die Einführung von Indikatoren für Beschäftigungsqualität. Damit konnte Schweden neue Richtwerte in der Sozialpolitik aufstellen. Diese haben die Staats- und Regierungschefs aber nach der neuen "offenen Methode der Koordinierung" weitgehend untereinander ausgemacht, und damit letztlich die seit fünfzig Jahren gültige Gemeinschaftsmethode weiter untergraben. Die Kommission verliert so immer mehr ihre zentrale Position im Integrationsprozess. Nachdem die gesamte Präsidentschaft von der Erweiterung und der Gipfel von Stockholm von der Sozial- und Beschäftigungspolitik geprägt war, sollte in Göteborg das Prinzip der Nachhaltigkeit für die europäischen Gemeinschaftspolitiken festgeschrieben werden. Umweltaspekte sollen künftig als Querschnittsaufgabe in allen Bereichen berücksichtigt werden. Das wurde auch so beschlossen, ist aber in der öffentlichen Wahrnehmung von den überraschend heftigen Gewalttaten rund um den Gipfel überdeckt worden. Die Ausschreitungen dürften Schweden umso mehr getroffen haben, als mit George W. Bush erstmals ein amerikanischer Präsident Schweden besucht hat. Bei dessen Besuch standen zudem Konflikte um Umweltschutz, Raketenabwehrpläne und Handelspolitik im Vordergrund, so dass die übrigen Göteborger Beschlüsse kaum auf öffentliche Resonanz stießen. Angehalten hat unter schwedischer Präsidentschaft die Tendenz, dass der Europäische Rat nicht nur bei grundsätzlichen Entscheidungen und der Zukunftsplanung, sondern auch in der tagespolitischen Politikgestaltung eine immer wichtigere Rolle einnimmt. Der Europäische Rat wird zum Supervisor der Gemeinschaftsinstitutionen: Der Ministerrat erhält präzise Mandate, die Kommission soll Berichte erstellen und das Parlament wird kaum mehr erwähnt. So haben auch die Gipfel von Stockholm und Göteborg wieder zahlreiche konkrete Arbeitsaufträge an Rat und Kommission formuliert. Hier müssen Reformen ansetzen, wenn nicht im Verbund mit der "offenen Koordinierung" die Gemeinschaftsmethode zum Auslaufmodell werden soll. Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass unter schwedischer Präsidentschaft zwar die Erweiterungsverhandlungen und mancher Gesetzesentwurf zügig vorangebracht, ansonsten aber wenig spektakuläre Entscheidungen getroffen wurden. Dies ist zum einen kaum überraschend, da Schweden der Union derzeit eher skeptisch gegenübersteht, sich aus der Währungsunion heraushält und auch beim Vertrag von Nizza wenig Engagement gezeigt hat. Zum anderen zeigt die Erfahrung, dass kurz nach einschneidenden Wegmarken wie eben Nizza eher ruhige Zwischenpräsidentschaften stattfinden. Allerdings hat Schweden auch eine Chance zur Profilierung verpaßt: Die anstehende Zukunftsdebatte zur Vereinfachung der Verträge, einer neuen Kompetenzordnung sowie der stärkeren Einbeziehung der Grundrechtscharta und der nationalen Parlamente wurde weitgehend der seit Juli 2001 amtierenden belgischen Präsidentschaft überlassen. Diese will den weiteren Integrationsweg nun im Rahmen des Zukunftsgipfels auf Schloss Laeken im Dezember diesen Jahres vorzeichnen. Angesichts des irischen Neins zum Vertrag von Nizza im Juni 2001 und der darin deutlich werdenden Skepsis gegenüber weiteren Integrationsschritten wäre ein deutliches Signal über die Richtung der künftigen Integration richtig gewesen. Zwischen Nizza und Laeken konnte die schwedische Ratspräsidentschaft den Raum für eigene Akzente nicht nutzen. |