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Focus, 11. Juni 2001

Auf dem Weg in die Misstrauensgesellschaft

Immer weniger Deutsche vertrauen den Institutionen

Von Werner Weidenfeld


Unsere Gesellschaft ist kälter geworden. Die seelische Temperatur sinkt. Anonymität und Vereinsamung breiten sich aus. Es mangelt an Orientierung. So lauten viele Klagen zu unserer Lage der Nation. Man könnte meinen, wir stehen vor einer neuen Eiszeit.

Drei Ursachen sind für diesen Wertewandel zu benennen.

1. Die neue Beliebigkeit

In früheren Wahlkämpfen entschieden die großen, stabilen Gruppen der Stammwähler die Wahlen. Heute sind es die Dramatisierungen des Augenblicks. Weniger das Programm, sondern die Inszenierungsqualität markiert das Erfolgsprofil. Die Umfragen wenige Tage vor den Wahlen werden scheinbar erheblich ungenauer, die am Wahltag selbst erheblich genauer, weil sich viele Wähler erst in letzter Stunde entscheiden. Vor zehn Jahren bezeichneten sich weit über 60 Prozent als Stammwähler – heute nur noch etwas mehr als 30 Prozent. 70 Prozent der Wähler sehen keinen Unterschied darin, ob SPD oder CDU die Bundesregierung führen, 45 Prozent sehen keinerlei Unterschiede zwischen SPD und CDU.

Nur 25 Prozent glauben, dass die Politik langfristig angelegt sei. Entsprechend schnell schwanken auch die Stimmungspegel: In dieser Legislaturperiode – also seit 1998 – gab es Umfragewerte für die SPD zwischen 29 und 46 Prozent und für die CDU zwischen 28 und 41 Prozent. Das politische Interesse ist stark zurückgegangen. Nur zwölf Prozent formulieren ein ausgeprägtes Interesse an Politik. 63 Prozent der Deutschen sagen, Politiker könnten versprechen, was sie wollen, man könne ihnen sowieso nicht glauben.

2. Nicht Krise der Werte, sondern Krise der Repräsentation

Wenn man Werte als Konzepte des Wünschbaren begreift und vor diesem Hintergrund nach den großen Lebenszielen fragt, dann sind die Antworten erstaunlich stabil und konstant. Ganz oben steht: ein glückliches Familienleben; und dann: finanzielle Sicherheit und Entfaltung der individuellen Fähigkeiten. Zur Erlangung dieser Ziele werden als wichtigste Werthaltung angesehen: Ehrlichkeit, Gerechtigkeit und Sicherheit.

Wenn es dennoch zu politischer Verdrossenheit in beachtlichem Maße kommt, dann erklärt dies die Sozialwissenschaft einerseits mit gewachsener Anspruchshaltung, andererseits mit einer tief greifenden Individualisierung. Aber ob das eine ausreichende Erklärung ist? Wir haben starke, stabile Mentalitätstraditionen in unserem Land, autoritätsorientierte Traditionslinien wie modernisierende, an Eigenverantwortung orientierte ebenso wie die an kollektiver Absicherung interessierte.

Bei näherem Hinsehen fällt auf, dass nicht diese stabilen Mentalitätsstrukturen in unserer Gesellschaft zerfallen, sondern dass die jeweiligen Einstellungsgruppen keine öffentlichen Sprecher mehr haben, keine wirkliche Repräsentanz. Die Prägekraft oder Vorherrschaft bestimmter Repräsentanten aus Parteien, Verbänden oder der Intellektuellen ist zerfallen. Alle politischen Lager versuchen ihre Anhänger aus allen Richtungen an sich zu binden und schaffen damit eine diffuse Konturlosigkeit, eher unklare Orientierungen.

3. Misstrauen dominiert

Jede moderne Gesellschaft lebt vom Vorschuss an Vertrauen. Denn sie ist in vielen Funktionen arbeitsteilig spezialisiert. Wir betreten ein Haus im Vertrauen auf die Qualifikation des Architekten und des Statikers. Wir setzen uns in ein Flugzeug im Vertrauen in die gute Ausbildung des Piloten. Wir begeben uns in medizinische Behandlung im Vertrauen auf die Befähigung des Arztes. Dieses Vertrauen ist der Kitt unserer Gesellschaft. Wir brauchen auch Vertrauen in die Institutionen, die für alle diese Qualifikationen bürgen.

Nun zeigen aber die Umfragen der vergangenen Jahre, dass wir immer weniger bereit sind, anderen zu vertrauen. Wir wollen weder den Parteien noch den Kirchen, weder den Unternehmern noch unseren Nachbarn trauen. Heute sagen 54 Prozent – also die Mehrheit –, dass sie nicht vertrauen können, weder den Institutionen noch ihren Mitmenschen.

Wir befinden uns offenbar auf dem Weg in die Misstrauensgesellschaft. Das ist das eigentliche Alarmsignal des Wertewandels.


   
           
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Aktualisiert am: 05.12.2002   Impressum | Design by [meteme.de]   Seite drucken | Seitenanfang