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Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3. April 2001

Pragmatiker des Augenblicks: Über die Sonnenseiten des Bundeskanzlers Schröder

Sibylle Krause-Burger: Wie Gerhard Schröder regiert. Beobachtungen im Zentrum der Macht, Deutsche Verlagsanstalt: Stuttgart/München 2000, 159 Seiten

Von Karl-Rudolf Korte


Teilnehmende Beobachtung - so kann man die Methode beschreiben, mit der sich die Journalistin Sibylle Krause-Burger dem Bundeskanzler Gerhard Schröder näherte. Von Februar bis Juli 2000 beobachtete und begleitete die Autorin den Kanzler. Entstanden sind Reportagen über Reisebegegnungen, filigrane Kanzlerportaits und Profilkennzeichnungen der Schröderschen Mannschaft. Ob damit angemessen das Zentrum der Macht getroffen wurde, bleibt fraglich. Denn die informelle Entscheidungsfindung im vertraulichen Kreise, sozusagen das Instrument des "Stillen Regierens", blieb der Autorin verschlossen. So kann sie aus Beobachtungen und einer Vielzahl von Gesprächen Rückschlüsse ziehen. Doch im Kern wird die Darstellungs- und nicht die Entscheidungspolitik abgebildet. Darstellungspolitik ist medienvermittelte Politik, die sich dem Gesamtkomplex der symbolischen Politik zuordnen lässt. Die personalisierte Politik in der Mediengesellschaft belohnt scheinbar den Sieger im Kampf um die öffentliche Aufmerksamkeit, nicht unbedingt den, der konkrete Problemlösungen anbietet. Entscheidungspolitik zielt hingegen auf die Verfahrensmerkmale der Politik. Wie verläuft das politische Entscheidungsmanagement zur Problem- und Konfliktbearbeitung? Als Leseeindruck setzt sich fest, dass Schröder ein Pragmatiker des Augenblicks ist. Der Kanzler tastet inhaltlich Spielräume ab. Stößt das Regieren auf öffentlichen Widerstand, werden neue Optionen gesucht - ein besonderes Kennzeichen einer kulturellen Teflonschicht der Politik, an der alles abtropft und alles in neuer Beliebigkeit unbestimmt bleibt. Multi-Options-Kanzler wählen problemorientiertes, kurzes, temporäres Engagement mit Allianzen auf Zeit als adäquate Antwort auf die Volatilität der Wähler und knappe Mehrheiten. So werden die Konzeption der Steuerreform oder die Greencard als Erfolgsmeldungen im Buch gefeiert, weil sie das pragmatisch-moderierende Moment mit dem Chefsachen-Mythos verbinden. Einmal wird der Resonanzraum verhandlungsdemokratisch abgetastet, ein anderes Mal bezieht der Chef medienwirksam alle Entscheidungsstränge auf sich.

Der Mensch Gerhard Schröder ist, wie wir jetzt erfahren, morgens nicht gut ansprechbar. Er liebt die Pünktlichkeit, ist ein angenehmer Chef, kann gut zuhören und haßt das Aktenstudium. In Besprechungsrunden zieht er sich auf die Rolle des Moderators zurück. An vielen Stellen zieht die Autorin Vergleiche mit Helmut Schmidt, den sie auch mehrfach portraitierte. Außer der gleichen Parteizugehörigkeit verbindet beide Kanzler fast nichts. Die Führungsstile und das Politikverständnis von Schmidt und Schröder könnten nicht verschiedener ausfallen. Problematisch sind die Wertungen, die Krause-Burger an vielen Stellen mit einfließen lässt: Der gute Mensch Schröder macht auch offensichtlich eine gute Politik. Da berichtet sie begeistert über Reisen ins Baltikum oder Schröders Art auf Menschen zuzugehen. Immer ist der Kanzler offenbar in der Verfassung, die politisch gerade angemessen ist. Das Subjekt der Beobachtung faszinierte anscheinend die Autorin so sehr, dass nur die Sonnenseite des Bundeskanzlers zum Vorschein kommt.

Günstig wirkte sich der Zeitraum der Beobachtung aus. Denn Schröder hatte nach dem ersten Regierungsjahr das Kanzleramt und seinen Machtzirkel neu formiert. Mit dem neuen Kanzleramtschef Steinmeier und ohne Lafontaine kehrte geräuschloser Regierungsalltag ein. Die Personenportraits aus dem Kanzlerbüro, der Staatsminister und des Regierungssprechers sind hilfreich, um das Umfeld der Politikgestaltung zu vermessen. Hier hat die Autorin präzise beschrieben, wie personalisiert Politik abläuft und wie die Machtorganisation ohne vertrauensvolle Mitstreiter erfolglos bleibt. Gelungen sind auch die Hinweise zur Rolle und zum Ablaufmuster der Morgenlage im Kanzleramt.

Die enorme auch physische Anspannung, mit der Spitzenpolitiker konfrontiert sind, die gnadenlos unter öffentlicher Beobachtung stehen, bleibt als Gesamteindruck der Lektüre zurück. Als sogenannter Spaßkanzler hatte Schröder begonnen. Längst benutzt er dieses Adjektiv nicht mehr. Frühzeitig hat er angemerkt, dass er "acht oder zehn Jahre" maximal regieren möchte. Institutionelle Sklerosen und persönlicher Verschleiß sind stete Begleiter von Machterosionen. Die möglichen Stationen des Machtverfalls sind schon in diesem Buch über den Regierungsalltag in der Startphase mit angelegt.


   
           
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Aktualisiert am: 05.12.2002   Impressum | Design by [meteme.de]   Seite drucken | Seitenanfang