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FAZ vom 24. Oktober 2000

Wie dauerhaft ist die neue transatlantische Solidarität?

Baldiges Wiederaufleben von Dissonanzen wahrscheinlich

Von Klaus-Dieter Frankenberger


WASHINGTON, im Oktober. Senator Richard Lugar gehört zu den republikanischen Außenpolitikern im Senat, die sich durch ihren festen, unideologischen Internationalismus und ihre Grundüberzeugungen von Amerikas Rolle in der Welt einen Namen gemacht haben. Sie fallen nicht durch einen spektakulären, konfliktsuchenden Auftritt auf, sondern durch ihre ruhige, nüchterne Analyse. Lugar spricht auch zurückhaltend, beinahe vorsichtig über den Krieg gegen den Terrorismus, nicht viel anders, als es Außenminister Powell und Verteidigungsminister Rumsfeld tun: keine Prognose über die Länge des Krieges, keine Andeutung einer triumphalistischen Siegesgewißheit, allenfalls der Hinweis darauf, daß es vermutlich niemals gelingen werde, alle Formen des Terrorismus gänzlich "auszurotten". Diese Einschätzung hat nichts mit Willensschwäche zu tun, sondern, im Gegenteil, mit Lebenserfahrung und einem soliden Grundverständnis weltpolitischer Vorgänge.
Aber selbst wenn dieser Krieg auf einem partiell unbekannten Terrain geführt wird, mit Gefechtslagen und Schlachtordnungen, die so anders sind als die der Vergangenheit, und selbst wenn der Erfolg nicht vollkommen sein wird, so wäre der Eindruck mangelnder Entschlossenheit falsch. Im Gegenteil. Vielleicht wird nicht jede Terroristenzelle von Usama Bin Ladins Al Qaida-Organisation ausgehoben, aber Amerika, so sagt Lugar mit ruhiger Stimme, werde es nicht zulassen, daß die Terroristen nach Massenvernichtungswaffen griffen. Das stehe ohne Wenn und Aber fest. "Wenn es uns damit nicht Ernst ist, dann werden wir noch mehr Terror bekommen, und das in einem Ausmaß, wie wir es noch nicht erlebt haben."

Was Lugar damit meint, ist der Stoff jener Szenarien, die in Washington in diesen Tagen zum Grundbestand fast jeder politischen Diskussion gehören: Was wird geschehen, sollte es zweifelsfreie Belege dafür geben, daß nicht nur Bin Ladin, sondern andere Staaten ihre Hand im Terrorspiel hatten, das am 11. September einen weltpolitischen Paradigmenwechsel bewirkt hat? Was würde geschehen, wenn die amerikanische Regierung sich zu einem militärischen Vorgehen gegen, zum Beispiel, den Irak entschlösse, falls sie von der Stichhaltigkeit entsprechender Beweise überzeugt wäre? Dann wäre der Aufschrei in der arabisch-muslimischen Welt sicher groß; ebenso groß wäre die Belastungsprobe, welcher der Zusammenhalt in der Anti-Terror-Koalition ausgesetzt wäre. Lugar fragt sich deshalb schon heute, wie es dann mit der Unterstützung seitens der Nato-Partner stehen werde, deren Solidarität in den zurückliegenden Wochen beispiellos gewesen ist. Und er gibt sich selbst die Antwort mit der Voraussage einer "großen Konfrontation, noch bevor der Krieg zu Ende ist".
So ähnlich sieht es der frühere Staatssekretär im Außenministerium, Stuart Eizenstat. Auch er ist beeindruckt von der transatlantischen Solidarität, auch er spricht wie viele andere davon, daß der Kampf gegen den internationalen Terrorismus Amerika und Europa wieder so fest zusammenschweißen könne, wie es die sowjetische Bedrohung während des Kalten Krieges getan hatte. Aber auch er ist sich nicht sicher, wie solide und dauerhaft dieser Solidaritätsverbund sein könne. Was die Europäer bis jetzt getan hätten, das sei relativ leicht gewesen, sagte Eizenstat kürzlich auf einer Konferenz in Washington. "Leicht" nannte er das Einfrieren von Bankguthaben mutmaßlicher terroristischer Organisationen, den Informationsaustausch der Geheimdienste, die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden. Aber werden die Europäer auch in der nächsten Phase und auf lange Frist mit von der Partie sein? Seine Mahnung ist eindeutig: "Vielleicht sollten wir unsere Begeisterung für die neue transatlantische Solidarität drosseln für den realistischen Fall, daß andere Staaten, die den Terroristen Unterschlupf gewähren und den Terrorismus fördern, in den Blick genommen werden." Dann könnte es unangenehm werden, wenn sich neben dem Verhältnis zu Bagdad etwa die Frage von Investitionen in einem Land wie Iran stelle.
Der frühere amerikanische Nato-Botschafter Hunter meinte sogar, hinter dieser oder jener Solidaritätsbeteuerung eine taktische Vorleistung zu erkennen. Möglicherweise seien einige Europäer deshalb nach Washington gekommen, um ihre Solidarität zu bekunden und "politisches Kapital" bei Präsident Bush zu sammeln, um das bei späterer Gelegenheit in Form von "guten Ratschlägen" wieder ausgeben zu können, sprich: Washington von einer Ausweitung von Militäraktionen über Afghanistan hinaus abraten zu können. Wer ein solches Argument für überzogen hält, der muß nur das Meinungsbild in den europäischen Staaten betrachten. Seit knapp drei Wochen werden Ziele in Afghanistan angegriffen, und in vielen europäischen Staaten sind die Leute bereits der Meinung, die Angriffe sollten eingestellt werden. Eine Ausweitung des Krieges würde die europäischen Regierungen unter erheblichen Druck setzen, "mäßigend" auf Amerika einzuwirken. Bis jetzt aber halten sie ihren Solidaritätsschwur.

Was für die Europäer ihre Solidarität ist, ist für Amerika die neue Freundschaft mit dem Multilateralismus. Verging seit Bushs Amtseinführung im Januar kaum ein Monat, da er nicht diesem Vertrag oder jener Konferenz den Rücken zugekehrt hatte, so daß in Europa die Einschätzung populär wurde, Bush sei ein bösartiger Unilateralist, so hat sich seit dem 11. September ein Wandel vollzogen. Amerika erlebt die Welt als Bedingung seiner Sicherheit; es sucht Partner und baut Allianzen, um mit der neuen Bedrohung fertig zu werden. Tatsächlich hört man heute nichts Abschätziges über die Vereinten Nationen, die man für den Wiederaufbau Afghanistans in Dienst nehmen will. Lange scheint es her, daß der Abschied vom Kyoto-Protokoll verkündet wurde. Kann man sich vorstellen, daß die Regierung Bush bei dem überragenden Thema dieser Wochen und Monate und der nächsten Jahre, dem Kampf gegen den Terror, den multilateralen Weg der Koalitionen geht, bei untergeordneten Gegenständen aber wieder unilateral vorgeht?

Die alten Fahrensmänner Eizenstat und Hunter können sich das nicht so recht vorstellen, andere können das durchaus. Im Außenministerium sieht man nicht, warum man wegen des Feldzugs gegen Al Qaida etwa die amerikanische Klimapolitik ändern müsse. Bei einigen transatlantischen Streitthemen seien die Chancen für eine Einigung besser geworden, bei anderen nicht. Die Erwartung, daß der gemeinsame Anti-Terror-Kampf nun auf alle anderen Felder gütlich ausstrahlen werde, sei unbegründet.
Dafür steht schon der Kongreß. Der wird beim Internationalen Strafgerichtshof, in der Klimapolitik, also in der Ablehnung des Kyoto-Protokolls, oder beim Atomteststoppvertrag kein Iota von seiner abweisenden Haltung abweichen. Der Kongreß sieht sich vor allem in seiner Haltung bestärkt, daß gegenüber Staaten, welche einen engen Umgang mit dem Terrorismus pflegen, ganz andere Saiten aufgezogen werden müssen. Es sind nicht nur die Vereinigten Staaten, die diese harten Saiten aufziehen müssen. Und so könnte es kommen, wie Lugar es voraussieht: Bevor der Krieg zu Ende ist, wird es wieder zu transatlantischen Dissonanzen kommen.


 

 
           
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Aktualisiert am: 05.12.2002   Impressum | Design by [meteme.de]   Seite drucken | Seitenanfang