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Rheinischer Merkur vom 6. Oktober 2000

Die Machtmaschine: Halbzeitbilanz des Bundeskanzlers

Von Karl-Rudolf Korte


Gerhard Schröder stieg in der Rolle des Rebellen auf. Das frühe Rütteln am Zaun des Kanzleramtes war ein kleiner Vorgeschmack auf Stilkennzeichen einer Führungsperson, die immer neue politische Grenz- und Regelverletzungen auf dem Weg nach oben anwendet. In der SPD kritisierte er das Establisment und die Vorsitzenden solange bis keiner mehr übrig blieb, der sich mit ihm messen wollte. Wichtige Personalentscheidungen auch im internationalen Umfeld erfolgen überfallartig, ohne die Einhaltung der ansonsten üblichen diplomatischen Usancen. Der Überraschungscoup klappte mehrfach, weil man derartige offene Dreistigkeiten von deutscher Diplomatie nicht gewohnt war. Auch als Medienkanzler setzte Schröder nicht nur neue Akzente, sondern schuf durch seine aktive Telepolitik völlig neue Dimensionen des Regierens: Der Kanzler zum Anfassen, der mit Stimmungen von außen auf seine Gremien einwirkt. Regelverletzungen konnten zuletzt im Umgang mit Institutionen beobachtet werden. Informelle Formen des Regieren sind in einer Verhandlungsdemokratie effizienzsichernd und machterhaltend. Alle Kanzler hofierten eher die handverlesenen Machtzirkel als die formellen Gremien. Doch mit dem 14. Juli 2000, als Schröder das Steuerpaket durch den Bundesrat brachte, muss ein neuer Einschnitt markiert werden. Denn innerhalb des Vermittlungsverfahrens wurden von allen Kanzlern die unterschiedlichsten Koalitionen über alle Parteigrenzen hinweg mit mehr oder weniger seriösen Angeboten geschmiedet. Letztlich zählte das Land für die Ministerpräsidenten immer mehr als die Partei. Doch sichtbar außerhalb des institutionellen Vermittlungsverfahrens agierte bislang nur Kanzler Schröder. Grenz- und Regelverletzungen kann man auch im Bereich der Umfragen konstatieren. Niemals zuvor hatte ein Kanzler in Deutschland in der Mitte der Legislaturperiode so hohe Sympathiewerte. Auch unter diesem Gesichtspunkt schreibt Schröder Geschichte.

Schröders Halbzeit-Stärke hat mehrere Gründe. Schneller als andere Kanzler konnte er die Regierungszentrale als Hausmacht nutzen. Die machtpolitische Aneignung des Kanzleramtes erfolgte in Phasen. Der erste Chef des Kanzleramtes, Hombach, organisierte und mobilisierte einige Monate die Gegenmacht zum Parteivorsitzenden Lafontaine. Ohne den Gegenpart Lafontaine verlor Hombach seine wichtigste Aufgabe. Die Koordination des Kanzleramtes ist nach dem Wegloben von Hombach im Juni 1999 unter dem neuen Kanzleramtschef Steinmeier nicht nur geräuschloser, sondern auch effizienter. Vermutlich wird sich Steinmeier in die Ahnenreihe wichtiger Macht-Architekten eintragen: Adenauer-Globke, Schmidt-Schüler, Kohl-Schäuble.

Die zweite zentrale strategisch weitreichende Aktion zur Machtstabilisierung bestand im Ausschalten seines Hauptwidersachers Lafontaine. Schröders Strategie der Machtzentralisierung ist seit Lafontaines vorzeitiger Niederlegung aller politischer Ämter sichtbarer geworden. Als Schröder schließlich selbst Vorsitzender wurde, behinderte die Parteiorganisation zunächst eine weitere Zentralisierung der Macht auf den Kanzler. Erst die Einführung eines Generalsekretärs - nach dem Muster der Unionsparteien- schaffte die Voraussetzungen für einen weiteren Machtgewinn Schröders. Die Rolle der stellvertretenden Vorsitzenden hat sich dramatisch relativiert. Franz Müntefering hält als Generalsekretär die Partei auf Abstand zu Schröder und vermittelt den Genossen gleichzeitig das Gefühl an Einfluss gewonnen zu haben. Der Enttraditionalisierung der SPD-Programmatik folgte die Enttraditionalisierung der Parteistruktur- auch eine Art von Regel- und Grenzverletzung.

Schröders Stärke hängt verständlicherweise auch rechnerisch mit seiner deutlichen Mehrheit im Bundestag zusammen. Anders als Kohl braucht Kanzler Schröder fast keine Rücksicht auf den Koalitionspartner zu nehmen. Koalitionen zwischen politischen Parteien sind Zweckbündnisse auf Zeit. Sie entspringen zumeist einem doppelten Kalkül: die rechnerische Mehrheit im Parlament soll zur Regierungsarbeit gesichert werden und wichtige zentrale Reformprojekte sind für die Legislaturperiode nur gemeinsam zu erreichen. Dennoch gehört der Streit der Koalitionspartner ebenso zum politischen Alltag wie der Kompromiss als wesentliche Entscheidungsregel. Schröder ist ein Spielertyp, der jeden Koalitionspartner nur als Beigabe kraftstrotzender Kanzlerpolitik akzeptiert. Er glaubt, dass er sich das erlauben kann, weil er in Berlin mehrere Koalitionsoptionen offen hat. Der Zeitkorridor für politische Optionen ist allerdings sehr begrenzt.

Schröders Kanzlerschaft durchzieht schon seit dem Ausscheiden von Lafontaine - dem Baumeister der rot-grünen Koalition - ein rein instrumentelles Verhältnis zum grünen Partner. Schröder beschrieb sein Koalitionsverständnis vor einiger Zeit mal als "das Verhältnis zwischen Koch und Kellner". Der Koch ist unentbehrlich, er bestimmt Menue und Geschmack. Der Kellner ist leicht austauschbar. Er ist Zuträger, Botengänger und den Launen des Publikums ausgesetzt. Schröder ist der erste Kanzler einer Koalitionsregierung, der den Titel des Koalitionskanzler zu Unrecht trägt. Dieser Umstand hängt nicht mit dem rechnerischen Abstand zur parlamentarischen Opposition zusammen, sondern mit Schröders Verständnis vom Regierungshandeln. Der Kanzler ist zuallererst Regierungschef, erst in zweiter Linie Parteiführer. Mit "outsider"-Status treibt er - wenn nötig - mittels telegenem Schwung von außen seine Parteigremien an. Der Generalsekretär übersetzt dann innerparteilich die Vorhaben des "Kanzlerpräsidenten".

Diesen Regierungsstil überträgt Schröder auch auf sein Verständnis vom Koalitionspartner. Den Kanzler verbindet kein großes parteipolitisch gemeinsam zu erkämpfendes Reformprojekt mit den Grünen. Amtsvorgänger Kohl war über viele Jahre hinweg primär Koalitionskanzler. Er benötigte die FDP als starken Juniorpartner. Kohl spielte häufig die CSU gegen die FDP aus und stiftete in der Rolle des Schlichters gleichzeitig CDU-Identität. Kohl brauchte zur machtabsichernden Entscheidungsmoderation die Koalition. Er nutzte die Koalitionsrunde als zentrales Führungsinstrument seines Regierungshandelns. Schröder steuert sein Regieren im Gegensatz zu Kohl nicht mit der wöchentlich tagenden Koalitionsrunde, sondern mit einem vierköpfigen Koordinationsgremium, das die Zusammenarbeit zwischen Partei (Müntefering), Fraktion (Struck und Schmidt) und Kanzleramt (Steinmeier) stabilisiert. Erst öffentlich wahrzunehmende Krisen führen zur Einberufung einer Koalitionsrunde. Schröder ist somit der Antitypus zur Koalitionsdemokratie, weil er Regieren als Chancen-Management und nicht als parteipolitische Kompromißsuche interpretiert.

Schröders Stärke als Machtmaschine sollte allerdings auch nicht überschätzt werden. In einer Stimmungsdemokratie muss vor voreiligen Prognosen zur nächsten Bundestagswahl gewarnt werden. Der Kanzler zeigt sich extrem anfällig, wenn die Sympathiewerte sinken. Grundsätzliche Strategieüberlegungen zur Reform der Renten beispielsweise werden opportunistisch geopfert, um Popularität zurückzugewinnen. Sollten Währungs- und Energiekrise anhalten, wird der Rückhalt in der Bevölkerung nachlassen. Nichts ist allerdings für den Wahlerfolg wichtiger als eine florierende Ökonomie. Schwächen könnte die Regierung Schröder auch eine neu erstarkte Opposition. Bis zur Festlegung auf einen Kanzlerkandidaten kann Schröder mit Raffinesse Widersprüche des oppositionellen Dreigestirns (Merz, Merkel, Stoiber) herausstreichen. Doch sollte die Union sich auf die erste Kanzlerkandidatin in der Geschichte der Bundesrepublik einigen, die noch dazu existentiell für Gesamtdeutschland spricht, dann könnte der Ausgang der Wahl spannender werden, als es jetzt erscheint. Merkel wirkt unverstellt authentisch - Schröder häufig hingegen als Machtmaschine inszeniert.


   
           
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Aktualisiert am: 05.12.2002   Impressum | Design by [meteme.de]   Seite drucken | Seitenanfang