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Focus vom 10. Juni 2000 Gerhard Schröder ist kein KoalitionskanzlerRegieren als Chancenmanagement statt Kompromisssuche Koalitionen zwischen politischen Parteien sind Zweckbündnisse auf Zeit. Sie entspringen zumeist einem doppelten Kalkül: die rechnerische Mehrheit im Parlament soll zur Regierungsarbeit gesichert werden und wichtige zentrale Reformprojekte sind für die Legislaturperiode nur gemeinsam zu erreichen. Dennoch gehört der Streit der Koalitionspartner ebenso zum politischen Alltag wie der Kompromiß als wesentliche Entscheidungsregel. Koalitionswechsel eines Juniorpartners vollzogen sich in der Geschichte der Bundesrepublik schleichend und unabhängig vom Wählervotum. Nur 1969 kam es im Bund zu einem spektakulären neuen Bündnis nach den Wahlen: Der Geburtsstunde der sozialliberalen Koalition. Deshalb können sowohl die SPD-FDP Gemeinsamkeiten beim Staatsbürgerschaftsrecht 1999 als auch die verbalen Düsseldorfer Annäherungen zwischen Clement und Möllemann als Auftakt einer Auflockerung des parteipolitischen Zweiblöcke-Systems interpretiert werden. Anders als Clement ist Schröder allerdings ein Spielertyp, der jeden Koalitionspartner nur als Beigabe kraftstrotzender Kanzlerpolitik akzeptiert. Er glaubt, dass er sich das erlauben kann, weil er in Berlin mehrere Koalitionsoptionen offen hat. Der Zeitkorridor für politische Optionen ist allerdings sehr begrenzt. Wenn nicht zeitgleich mit mehreren möglichen Partnern verhandelt wird - wie es in Düsseldorf zur Zeit nicht der Fall ist - dann steigt das Verhandlungsgewicht der späteren zweiten Wahl. Aus der "Option FDP" könnte die notwendig mehrheitssichernde "Hilfe-FDP" werden. Für Schröder würde zum jetzigen Zeitpunkt ein Koalitionswechsel in Berlin den Handlungskorridor eingrenzen. Er benötigt schwache Partner. Gerade die derzeitige Buntheit der Koalitionsbündnisse auf Länderebene verschafft dem Kanzler Spielraum, um parteipolitische Blockbildungen durch interessenorientierte Netzwerke aufzubrechen: Sachkoalitionen ersetzen Parteibündnisse. Sozialliberal in Düsseldorf würde die Grünen in Berlin zu einem noch preiswerteren Partner machen. Regieren würde für Schröder mithin leichter. Dieses Rollenverständnis von Koalitionen charakterisiert Schröders Politikstil. Seine Kanzlerschaft durchzieht schon seit dem Ausscheiden von Lafontaine - dem Baumeister der rot-grünen Koalition - ein rein instrumentelles Verhältnis zum grünen Partner. Er beschrieb sein Koalitionsverständnis vor einiger Zeit mal als "das Verhältnis zwischen Koch und Kellner". Der Koch ist unentbehrlich, er bestimmt Menue und Geschmack. Der Kellner ist leicht austauschbar. Er ist Zuträger, Botengänger und den Launen des Publikums ausgesetzt. Schröder ist der erste Kanzler einer Koalitionsregierung, der den Titel des Koalitionskanzler zu Unrecht trägt. Dieser Umstand hängt nicht mit dem rechnerischen Abstand zur parlamentarischen Opposition zusammen, sondern mit Schröders Verständnis vom Regierungshandeln. Der Kanzler ist zuallererst Regierungschef, erst in zweiter Linie Parteiführer. Mit "outsider"-Status treibt er - wenn nötig - mittels telegenem Schwung von außen seine Parteigremien an. Der Generalsekretär übersetzt dann innerparteilich die Vorhaben des "Kanzlerpräsidenten". Diesen Regierungsstil überträgt Schröder auch auf sein Verständnis vom Koalitionspartner. Den Kanzler verbindet kein großes parteipolitisch gemeinsam zu erkämpfendes Reformprojekt mit den Grünen. Amtsvorgänger Kohl war über viele Jahre hinweg primär Koalitionskanzler. Er benötigte die FDP als starken Juniorpartner. Kohl spielte häufig die CSU gegen die FDP aus und stiftete in der Rolle des Schlichters gleichzeitig CDU-Identität. Kohl brauchte zur machtabsichernden Entscheidungsmoderation die Koalition. Er nutzte die Koalitionsrunde als zentrales Führungsinstrument seines Regierungshandelns. Schröder steuert sein Regieren im Gegensatz zu Kohl nicht mit der wöchentlich tagenden Koalitionsrunde, sondern mit einem vierköpfigen Koordinationsgremium, das die Zusammenarbeit zwischen Partei (Müntefering), Fraktion (Struck und Schmidt) und Kanzleramt (Steinmeier) stabilisiert. Erst öffentlich wahrzunehmende Krisen führen zur Einberufung einer Koalitionsrunde. Schröder ist somit der Antitypus zur Koalitionsdemokratie, weil er Regieren als Chancen-Management und nicht als parteipolitische Kompromißsuche interpretiert. |