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FAZ vom 23. März 2000 Befreien aus der Umklammerung der CSUNur eine wirkliche Gegenmachtbildung zur Schwesterpartei kann die CDU stärken Der neue Megastar ist gekürt: Angela Merkel. Auf der Strecke bis zum Parteitag in Essen sind alle anderen Mitbewerber nur noch Helden des Rückzugs. Hohe Erwartungen sind an die neue Vorsitzende geknüpft: Programmatische Erneuerung, finanzielle Sanierung, parteiinterne Strukturreform, wahlpolitische Offensive - Merkel bündelt im Klima basisdemokratischer Debattenkultur dieses Profil. Vor allem scheint sie die deutschen Sehnsüchte nach politischer Romantik zu befriedigen. Statt Taktieren und Finassieren in Kungelrunden personifiziert sie glaubwürdige Antworten auf unüberschaubare Kompliziertheiten, als ein Gegenbild zu den konkreten Erscheinungsformen der Politik. Doch Alltagspolitik ist immer auch Machtpolitik. Sie muß als Vorsitzende ihre Macht durch Einfluss, weniger durch Herrschaft sichern. Selbst wenn der Parteivorsitz mit überzeugender Mehrheit gelingt, ersetzt dies nie die mühselige Tagesarbeit, die Machtstabilisierung durch Aufbau und Pflege von informellen Kommunikationsnetzwerken. Doch die so zu erarbeitende Macht zur Erneuerung der CDU kann sie nur nutzen, wenn sie sich aus der Umklammerung der CSU befreit. Daß die CDU derzeit Mühe hat in der Bundestagsfraktion für ihre gesundheits- und sozialpolitischen Initiativen ein schwergewichtiges Pendant zu Seehofer (CSU) zu finden, ist symptomatisch. Nicht der Personalmangel avanciert zum Problem, sondern der Dominanzanspruch der CSU, der das machtpolitische Führungsvakuum der CDU in den letzten Monaten begleitete. Das besonders in Oppositionszeiten notwendige Machtdreieck zwischen den Vorsitzenden der CDU, der CSU und dem der Bundestagsfraktion ist noch extrem ungleichgewichtig. Ein Blick auf die Agenda der oppositionellen Erneuerung der CDU seit Anfang der 70er Jahre zeigt, daß die Kraft der Erneuerung aus der Emanzipation von der CSU erwuchs. Rainer Barzel (CDU) war nach 1971 in der Doppelfunktion als Partei- und Fraktionsvorsitzender in der parlamentarischen Opposition in direkter Abhängigkeit von Franz-Josef Strauß. Denn die Wahrnehmung der Union lief während der Oppositionszeit ab 1969 zunächst fast ausschließlich über die parlamentarische Arbeit der Bundestagsfraktion. Die Bundespartei war seit dem sozialliberalen Machtwechsel sprachlos und lange nicht willig, die Fehler der Wahlniederlage schonungslos zu analysieren. In der Bundestragsfraktion hatte - über den Fraktionsstatus abgesichert - die CSU unmittelbare Zugriffsmöglichkeiten. Ein ausgewogenes Verhältnis im Machtdreieck konnte erst erreicht werden, als es zur Aufteilung der Ämter kam. Helmut Kohl wurde 1973 Parteivorsitzender - immerhin nach Kiesinger und Barzel, der dritte Vorsitzende in nur drei Jahren. Karl Carstens (CDU) wählte die Bundestagsfraktion zu ihrem Vorsitzenden. Newcomer Carstens galt - ebenso wie Friedrich Merz heute - gleichermassen als unverbrauchtes neues politisches Gewicht und Gesicht. Er taktierte zwischen dem noch regierungsverwöhnten Establishment seiner Abgeordneten-Kollegen und den reformfreudigen Kräften. Helmut Kohl konnte als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz der CSU Paroli bieten. Er war nicht direkt in den Fraktionskontext eingebunden, schuf durch Gegenmachtbildung zur CSU die Attraktivität zur Mitsprache und Mitentscheidung für all diejenigen, die sich von der Fremdbestimmung durch die CSU befreien wollten. Erst durch Verhandlungsmacht auf gleicher Augenhöhe zum CSU-Vorsitzenden konnten zu Beginn der 70er Jahre beide Parteien im wahrsten Sinne des Wortes als Schwesternpaar wieder agieren. CDU, CSU und gemeinsame Bundestagsfraktion boten im Wettbewerb miteinander - und für die Wähler auch durch unionsinterne Konflikte und Kontroversen erkennbar personifiziert - wertkonservative, christlich-soziale und liberale Politikonzepte. Nicht die programmatische Einheit im Machtdreieck stärkte, sondern die Vielfalt, die aus der wiedergewonnene Stärke der CDU erwuchs. Eigenständigkeit im Machtdreieck zwischen CDU, CSU und Fraktion sicherte einen breiten und profilierten Wählerzuspruch. Aus der Fraktionspartei konnte durch Gegenmachtbildung eine oppositionelle Bundespartei entstehen und damit die Chancen zum Regierungswechsel. Den CSU-Beschluss von Kreuth (1976), die Fraktionsgemeinschaft zu verlassen, konterte die CDU machtbewusst mit der Drohung einer Ausweitung der CDU nach Bayern. Angela Merkels Machtbasis ist im Zeitvergleich zum damaligen Ministerpräsidenten und Vorsitzenden Kohl noch eher diffus. Sie kann sich weder auf einen personalintensiven Landesverband stützen noch auf gewachsenen Rückhalt aus der Fraktion. Die Zeit als Generalsekretärin war zu kurz, um Frühwarnsysteme bis in die kleinsten Kreisverbände zu installieren. Sie kann sich auf dem Vertrauensvorschuß sowohl von den Mitgliedern als auch von der Medienöffentlichkeit nicht ausruhen. Denn diese Macht verflüssigt sich schneller als kampferprobte Loyalitätsbündnisse, wenn Erfolge ausbleiben. Die Aufteilung der Ämter, die Stärkung des Eigengewichts der CDU, die Gegenmachtstrategien aus dem Amt des Ministerpräsidenten heraus, sind nur ein Teil der historischen Lektionen auf dem langen Weg von der Opposition zur Regierungspartei. Die damalige Profilierung durch Themen wie beispielsweise die "Neue Soziale Frage" erfolgte entscheidend durch die Generalsekretäre Kurt Biedenkopf und später Heiner Geißler, nur gelegentlich durch den Vorsitzenden. Auch durch die Spendenkrise ab November 1999 lavierte bezeichnenderweise von Beginn an die Generalsekretärin die Partei, nicht der Vorsitzende. Parteivorsitzende haben zu integrieren. Sie müssen nach außen ihre Partei im Wettbewerb leistungsstark und stimmgewaltig vertreten. Doch der ideale politische Anführer vereint durch seinen Stil, nicht durch klare Programmatik. Er muß Projektionsfläche für unterschiedliche Erwartungen bleiben. Den Generalsekretären kommt die zentrale Rolle der Programmerneuerer zu. Wolfgang Schäuble büßte seine inhaltliche Brillanz in dem Moment ein, in dem er auch das Amt des Parteivorsitzenden übernahm. Auch deshalb ist die aktuelle Diskussion über den neuen Vorsitzenden der Union verkürzt. Vorsitzende in einer heterogenen und extrem föderalen Organisation wie der CDU sind Moderatoren des Interessenausgleichs. Der Generalsekretär und der Fraktionsvorsitzende im Bundestag sind die Gestalter des programmatischen Neuanfangs. Insofern paßt auch Angela Merkel in dieses Leistungsschema. Sie ist als Managerin und Saniererin aufgefallen, eher weniger durch Programmaussagen, die jetzt gegen die vorgebracht werden könnten. Das kann ein Pfund sein, im Kampf gegen die Dominanz aus Bayern. |