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FAZ
vom 25. Oktober 1999
Das System Schröder
Wie der Kanzler das Netzwerk seiner Macht knüpft
Von Karl-Rudolf
Korte
Bundeskanzler sind demokratische Machtjongleure. Sie erhalten ihre Macht
durch Einfluß, weniger durch Herrschaft. Selbst wenn der Machterwerb zu
klaren Mehr-heitsverhältnissen im Bundestag führte: Diese ersetzen nie
die mühsame Tagesarbeit, die Machtstabilisierung durch Aufbau und Pflege
von Kommunikationsnetzwerken. Erst diese Ressourcen sichern Regierungsarbeit
und Machterhalt ab. Gerhard Schröder hatte ab dem 27. Oktober 1998, dem
Tag seiner Wahl durch den Deutschen Bundestag, nur oberflächlich betrachtet
optimale Startbedingungen. Dazu gehörten die über-wältigenden Mehrheitsverhältnisse
im Bundestag und Bundesrat, die erstmalige Kanzlerabwahl durch die Bevölkerung
und eine breit getragene Wechselstimmung, die als Garantie für tatsächliche
Reformbereitschaft zu deuten war.
Was dem Bundeskanzler jedoch fehlte, war die verläßliche Machtbasis, die
steuerndes Regieren möglich macht. Er hatte keine Parteimacht, keine auf
ihn zugeschnittene Regierungszentrale, keine Hausmacht in der Fraktion,
keine Bonn Erfahrung. Daran gemessen sitzt Schröder heute trotz Wahlniederlagen
in den Bundesländern fester im Sattel als vor einem Jahr.
Schröder stützte sich zu Beginn seiner Amtszeit nur auf die Öffentlichkeit
als Machtressource. Die Medien kürten einen Kanzler, der ihr Modell von
moderner Staatskunst vollendet vorlebte. Die öffentliche Kanzlerschaft
setzt Fernsehdramaturgie an die Stelle von Entscheidungspolitik. Schröder
besaß noch vor zwölf Monaten geradezu ein Übermaß an öffentlicher Unterstützung.
Die an die Medien adressierte Kanzler-Personalisierung als Teil des neuen
Entscheidungsmanagements zielte auf direkte Legitimation über die Öffentlichkeit.
Medienarbeit betrieben alle Kanzler. Doch Schröders News-Management zielt
erstmals auch darauf, die Massenmedien für seine herrschaftssichernden
Zwecke zu instrumentalisieren. Der politische Anführer vereint durch seinen
Stil, weniger durch programmatische Integrationsformeln. Bei all dem steht
nicht im Mittelpunkt, ob der Bundeskanzler tatsächlich beim Regierungsgeschäft
das letzte Wort hat. Aber er muß so tun, ab ob er es hätte, wenn er nur
wollte. Zum Stilmerkmal des Entscheiders gehört nämlich unausweichlich
das, was er gegenüber dem Publikum suggeriert: Darstellungspolitik soll
mit Entscheidungspolitik identisch sein. Faktisch - abseits der ausgeleuchteten
Regierungsbühne - bedeutet jedoch effizientes Regierungshandeln bei allen
Kanzlern eher das Nicht-Entscheiden, das mühsam-einbindende Moderieren
im Dickicht der Vorentscheidungen.
Die Grenzen des Schröderschen Politikstils, der seine Legitimation aus
dem telegenen Schwung ableitet, wurden bereits am Ende der zügigen Koalitionsverhandlungen
im Herbst 1998 sichtbar, als sich alles um Zuschnitt und Personaltableau
der Regierung drehte. Spätestens an diesem Punkt holte die SPD ihren neuen
Kanzler wieder ein und wies ihm die Grenzen eines überdehnten medialen
Politikstils. Medienkanzlerschaften haben ihren Preis, wenn sich das Medien-Charisma
verflüchtigt. Die Medien sichern nicht stabilisierend Schröders Herrschaftsanspruch,
jede Unpopularität, jeder Image-Fehler wird unbarmherzig registriert.
Doch der Bundeskanzler nutzt die Medien weiterhin als Instrument, um die
SPD inhaltlich vor sich herzutreiben - wohl die größte Abweichung vom
Regierungsstil seines Vorgängers. Zuletzt versuchte Schröder mitten im
SPD-Streit um neue Ausgabenkürzungen mit dem "Schröder-Blair-Papier" durch
das going public seine Partei zur Räson zu bringen.
Wenn somit die Öffentlichkeit als Quelle der Machtsicherung selbst begnadete
Kommunikatoren wie Gerhard Schröder langfristig nicht trägt, müssen die
anderen Machtressourcen - Partei/Fraktion und Kanzleramt - zielstrebig
entwickelt und ausgebaut werden. In den zurückliegenden Monaten hat Schröder
versucht, strukturierte Regierungsmacht zu erlangen. Die machtpolitische
Aneignung des Kanzleramtes erfolgte ruckartig und zügig. Bundeskanzler
Helmut Kohl benötigte für den Umbau der auf seinen Koordinationsstil zugeschnittenen
Regierungszentrale fast zwei Jahre. Erst mit der Etablierung Wolfgang
Schäubles als Kanzleramtsminister kam das Kanzleramt Ende 1984 aus den
Schlagzeilen. Schäuble koordinierte und zentralisierte alle Entscheidungs-
und Informationsabläufe. Seine Maklermacht basierte auch auf dem Erfahrungsschatz,
den er sich als Geschäftsführer der Fraktion erworben hatte. Kohl brauchte
das Kanzleramt nicht zu Beratungszwecken, sondern primär zur Durchsetzung
seines Führungsanspruchs.
Schröders erster Chef des Kanzleramtes, Bodo Hombach, organisierte und
mobilisierte einige Monate die Gegenmacht zum Parteivorsitzenden Oskar
Lafontaine. Ohne den Gegenpart Lafontaine verlor Hombach seine wichtigste
Aufgabe. Auch zur Funktion des Vermittlers und Schlichters in einer permanenten
Verhandlungsdemokratie paßte seine Rolle als Chefdenker der "Neuen Mitte"
nicht. Die Koordination des Kanzleramtes ist nach dem Wegloben von Hombach
im Juni 1999 unter dem neuen Kanzleramtschef Frank Walter Steinmeier nicht
nur geräuschloser, sondern auch effizienter. Der neue Staatsminister im
Kanzleramt, Hans Martin Bury, sichert außerdem durch seine langjährige
Erfahrung in der Fraktion die Einbindung der Bundestagsfraktion. Durch
die Etablierung eines neuen vierköpfigen Koordinationsgremiums, das die
Zusammenarbeit zwischen Partei (Müntefering), Fraktion (Struck und Schmidt)
und Kanzleramt (Steinmeier) verbessern soll, hat Schröder eine kohärenten
Handlungseinheit auf-gebaut, die als Frühwarnsystem funktionieren kann.
Informelles Regierungsmanagement ersetzt die ursprüngliche Absicht "Kungelrunden"
abzuschaffen. Die strategische Mehrheit im Bundestag läßt außerdem die
anfängliche Fürsorge für den grünen Koalitionspartner als zweitrangig
erscheinen. Selten war in der Geschichte der Kanzlerdemokratie der kleinere
Koalitionspartner so eingehegt wie die Bündnisgrünen. Nur Schröders potentielle
Stärke schützt sie vor dem politischen Aus. Steinmeier und Bury sind in
diesem Gesamtgefüge eher Vermittler als Vordenker. Das Kanzleramt ist
somit wieder auf dem Weg seine Rolle als Regierungszentrale und Koordinationsstelle
zurückzuerlangen, was Schröders Macht stärkt und das Bild des Korrekturkanzlers
korrigieren soll.
Aber selbst eine noch so effizient und loyal ausgerichtete Regierungszentrale
sichert nicht den Führungsanspruch, den sich die Kanzler durch ihre parteipolitische
Rückbindung und die tägliche Integrationsleistung gegenüber der eigenen
Parteibasis permanent erarbeiten mußten. Die von diesem Muster abweichenden
plebiszitären Versuche sowohl von Kanzler Helmut Schmidt (SPD) als auch
von Ludwig Erhard (CDU) scheiterten gerade an der Ignoranz dieses Sachverhalts,
trotz dokumentierter Führungsbereitschaft im und durch das Kanzleramt.
Was den Kanzlern schließlich an Kanzlermacht in einer Koalitionsregierung
abhanden gekommen ist, konnten sie - mit Ausnahme von Schmidt - durch
ihre Rolle als Parteiführer kompensieren. Gerhard Schröder mußte unter
machttaktischen Gesichtspunkten das Amt des Parteichefs gerade in der
Rolle des Bundeskanzlers anstreben. So griff er nach dieser Machtressource,
der Parteimacht, konsequent, als sich ihm die Chance bot.
Schröders Strategie der Machtzentralisierung ist seit Lafontaines vorzeitiger
Niederlegung aller politischer Ämter sichtbarer geworden. Über ein halbes
Jahr saß erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ein parteipolitischer
Vorgesetzter des Kanzlers, nämlich der Parteivorsitzende Lafontaine, mit
am Kabinettstisch. Machtsicherung konnte Schröder in dieser Zeit nur durch
Gegenmachtbildung im Kabinett bei der Auswahl seiner Regierungsmannschaft
herstellen. Nur so entzog er sich der Umklammerung durch den Parteivorsitzenden.
Als Schröder schließlich selbst Vorsitzender wurde, behinderte die Parteiorganisation
zunächst eine weitere Zentralisierung der Macht auf den Kanzler. Erst
die unmittelbar bevorstehende Einführung eines Generalsekretärs - nach
dem Muster der Unionsparteien und der F.D.P. - schafft die Voraussetzungen
für einen weiteren Machtgewinn Schröders. Die Rolle der stellvertretenden
Vorsitzenden wird sich zukünftig relativieren. Franz Müntefering wird
als Generalsekretär die widersprüchlichen Erwartungen an sein neues Amt
im Sinne von Steuerungsgewinnen im Regierungsalltag für den Kanzler umsetzen:
der Generalsekretär - als geschäftsführender Vorsitzende - hält die Partei
auf Abstand zu Schröder und vermittelt den Genossen gleichzeitig das Gefühl
an Einfluß gewonnen zu haben. Der Enttraditionalisierung der SPD-Programmatik
folgt die Enttraditionalisierung der Parteistruktur. Der Parteisoldat
Müntefering und der Technokrat Steinmeier sollen für stille Regierungsarbeit
sorgen. Fehlende Bonn-Erfahrung ist schließlich nach dem Regierungsumzug
kein Handicap mehr. Berliner Netzwerke entstehen, wobei die Bundesregierung
die Chance des Anfangs für sich nutzt.
Schröders machtpolitische Lernfähigkeit vom Vorgänger Kohl hatte sich
schnell erwiesen. Dieser schaltete gleich zu Beginn potentielle Rivalen
wie Strauß aus. Geschickt setzt Schröder gegenüber der Partei seine Strategie
des Ausschaltens durch Einbinden fort: Widersacher aus dem eher linken
politischen Lager wie Klimmt werden im Kabinett integriert; Machtstrategische
Kontrahenten wie Scharping werden mit Aufgaben einer Bundeswehrstrukturreform
beschäftigt und ferngehalten; Parteilinke und ostdeutsche Protagonisten
sammeln und verkämpfen sich in der Grundwerte- und Programmkommission.
Störenfriede auf dem Weg zur Kandidatenkür, wie Johannes Rau - wurden
in höhere Ämter weggelobt.
All das deutet sehr präzise darauf hin, daß Schröder in der Partei sein
machtpolitisches Rückgrat sieht. Kanzlermacht ist einmal mehr Parteimacht.
Das gilt erstmals auch für einen Kanzler, der seine Partei als Machtvehikel
und nur bedingt als ideologische Heimat betrachtet. Solange er die Sprecher
der Unruhe und des Unbehagens an seiner Person einbinden kann, setzt er
unter machtpolitischen Gesichtspunkten seinen Erfolgskurs fort. Das System
Schröder hat sich nach fast zwölf Monaten gefestigt. Seine Strategie der
umfassenden persönlichen Machtabsicherung erfolgte mit unbedingter Konsequenz.
Wenn Regieren auch aus der Kunst des persönlichen politischen Machterhalts
besteht, dann hat Bundeskanzler Schröder jetzt die Instrumente, um zu
führen, zu moderieren, zu steuern, kurz um zu regieren. Die anfängliche
Machtteilung - mit vielen Widersachern innerhalb von Partei und Koalitionsregierung
- hat Schröder in eine Machtzentralisierung verwandelt. Andere Kanzler
benötigten dazu einen deutlich längeren Zeitraum. Andererseits kamen deren
Tiefs bei öffentlichen Umfragen und bei der Parteikonkurrenz erst zur
Halbzeit der Legislaturperiode. Mediale Schnelllebigkeit und die neue
wertfreie Beliebigkeit fordern offenbar auch hier ihren Tribut. Gute Zeiten
im Sinne der Machtarrondierung können somit auch gleichzeitig schlechte
Zeiten sein.
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