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Rheinischer
Merkur vom 24. September 1999
Das System Schröder
Von Karl-Rudolf
Korte
Gerhard Schröder sitzt knapp ein Jahr nach seiner Wahl zum Bundeskanzler
fester im Sattel als zu Beginn seiner Amtsperiode. Die anfängliche Machtteilung
- mit vielen Widersachern innerhalb von Partei und Koalitionsregierung
- hat Schröder in eine Machtzentralisie-rung verwandelt.
Das klingt paradox, denn von Wahltag zu Wahltag hat sich die SPD-Machtbasis
drastisch verringert. Weder das strahlende Siegerimage noch die überwältigenden
sozialdemokratischen Mehrheitsverhältnisse hatten - außer im Bundestag
- lange Bestand. Doch Regi-ren besteht immer auch aus der Kunst des persönlichen
politischen Machterhalts, was Kanzler Schröder gerade in diesen Tagen
wieder unter Beweis gestellt hat. Denn durch die Etablierung eines neuen
vierköpfigen Koordinationsgremiums, das die Zusammenarbeit zwischen Partei
(Müntefering), Fraktion (Struck und Schmidt) und Kanzleramt (Steinmeier)
verbessern soll, setzt Schröder seine Strategie der umfassenden persönlichen
Machtabsicherung konsequent fort. Die neue Koordinationsrunde ist Teil
der kohärenten Handlungseinheit, die sich Schröder knapp ein Jahr nach
seiner Wahl zum Bundeskanzler schrittweise aufgebaut hat.
Steuerungsleistungen versuchten alle Kanzler mit unterschiedlichem Geschick
über den Ausbau von Machtressourcen auszuüben. Dazu zählten vor allem
das Kanzleramt, die Regierungspartei bzw. die Fraktion. Die machtpolitische
Aneignung des Kanzleramtes erfolgte in Phasen. Der erste Chef des Kanzleramtes,
Hombach, organisierte und mobilisierte einige Monate die Gegenmacht zum
Parteivorsitzenden Lafontaine. Ohne den Gegenpart Lafontaine verlor Hombach
seine wichtigste Aufgabe. Auch zur Funktion des Vermittlers und Schlichters
in einer permanenten Verhandlungsdemokratie paßte seine Rolle als Chefdenker
der "neuen Mitte" nicht. Die Koordination des Kanzleramtes ist nach dem
Wegloben von Hombach im Juni 1999 unter dem neuen Kanzleramtschef Steinmeier
nicht nur geräuschloser, sondern auch effizienter. Der neue Staatsminister
im Kanzleramt, Bury, sichert außerdem durch seine langjährige Erfahrung
in der Fraktion, die Einbindung der Bundestagsfraktion. Steinmeier und
Bury sind eher Vermittler als Vordenker. Das Kanzleramt ist somit wieder
auf dem Weg seine Rolle als Regierungszentrale und Koordinationsstelle
zurückzuerlangen, was Schröders Macht stärkt.
Nach der zweiten Machtressource, der Parteimacht, griff Schröder konsequent,
als sich ihm die Chance bot. Schröders Strategie der Machtzentralisierung
ist seit Lafontaines vorzeitiger Niederlegung aller politischer Ämter
sichtbarer geworden. Über ein halbes Jahr saß erstmals in der Geschichte
der Bundesrepublik ein parteipolitischer Vorgesetzter des Kanzlers, nämlich
der Parteivorsitzende Lafontaine, mit am Kabinettstisch. Machtsicherung
konnte Schröder in dieser Zeit nur durch Gegenmachtbildung im Kabinett
bei der Auswahl seiner Regierungsmannschaft herstellen. Nur so entzog
er sich der Umklammerung durch den Parteivorsitzenden. Als Schröder schließlich
selbst Vorsitzender wurde, behinderte die Parteiorganisation zunächst
eine weitere Zentralisierung der Macht auf den Kanzler. Erst die Einführung
eines Generalsekretärs - nach dem Muster der Unionsparteien - schafft
die Voraussetzungen für einen weiteren Machtgewinn Schröders. Die Rolle
der stellvertretenden Vorsitzenden hat sich zukünftig relativiert. Franz
Müntefering wird als Generalsekretär die widersprüchlichen Erwartungen
an sein neues Amt im Sinne von Steuerungsgewinnen im Regierungsalltag
für den Kanzler umsetzen: der Generalsekretär hält die Partei auf Abstand
zu Schröder und vermittelt den Genossen gleichzeitig das Gefühl an Einfluß
gewonnen zu haben. Der Enttraditionalisierung der SPD-Programmatik folgt
die Enttraditionali-sierung der Parteistruktur. Der Parteisoldat Müntefering
und der Technokrat Steinmeier sollen für stille Regierungsarbeit sorgen.
Geschickt setzt Schröder außerdem gegenüber der Partei seine Strategie
des Ausschaltens durch Einbinden weiter fort: Widersacher aus dem eher
linken politischen Lager wie Klimmt werden im Kabinett integriert; Machtstrategische
Kontrahenten wie Scharping werden mit Aufgaben einer Bundeswehrstrukturreform
beschäftigt und ferngehalten; Parteilinke und ostdeutsche Protagonisten
sammeln und verkämpfen sich in der Grundwertekommission. All das deutet
sehr präzise darauf hin, daß Schröder in der Partei sein machtpolitisches
Rückgrat sieht. Kanzlermacht ist einmal mehr Parteimacht. Das gilt erstmals
auch für einen Kanzler, der seine Partei als Machtvehikel und nur bedingt
als ideologische Heimat betrachtet. Solange er die Sprecher der Unruhe
und des Unmuts an seiner Person einbinden kann, setzt er unter machtpolitischen
Gesichtspunkten seinen Erfolgskurs fort. Das System Schröder hat sich
nach fast zwölf Monaten gefestigt.
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