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DIE
WELT vom 11. Mai 1999
Sechs Tips, die den Grünen das Überleben sichern können
Von Karl-Rudolf
Korte
Parteitage entscheiden sich im Vorfeld. Die klassischen Strategien politischer
Führung fordern eine durchrationalisierte Parteitagsregie. Viel zu häufig
wird dabei vorrangig auf medienadressierte Öffentlichkeitsarbeit gestarrt.
Dabei rücken Inszenierungsfragen ins Zentrum wie beispielsweise Einzug
der Prominenz, Farb- und Tongebung, Hintergrundembleme. Viel zu wenig
wird ergebnisorientiert auf mögliche handwerkliche Fehlerquellen geachtet.
Gemeint sind Vorverhandlungsphasen, Redeplanung und Verlaufskoordination,
die effiziente politische Führung auszeichnen. Der Parteitag der Bündnisgrünen
von Magdeburg im März 1998 ist ein gutes Beispiel dafür, wie fehlerhafte
Führungstechniken auch zum Desaster für den Parteivorstand wurden.
Parteitage sind meist eine Mischung aus Kirchentag, Betriebsausflug und
Krönungsmessen. Jeder Parteitag hat eine Eigengesetzlichkeit, doch sind
die Sonderparteitage im Vergleich zu den Wahl- und Programmparteitagen
aus Sicht der Parteiführung besonders schwierig. Schon der Name signalisiert
eine Sondersituation: die Uneinigkeit der Partei in einer zentralen programmatischen
Frage. Sie soll am Ende des zumeist eintägigen Treffens entschieden sein.
Hier zeigen sich bei den Bündnisgrünen - mehr als bei den anderen Bundestagsparteien
- drei außerordentliche Zusatzprobleme. Sie kennzeichnen den Weg von der
Protestbewegung hin zur etablierten Partei.
Zum einen ist nicht irgendeine inhaltliche Auseinandersetzung strittig,
sondern eine, die das Wurzelwerk der Gründungsgeschichte berührt. Gewaltfreiheit
gehört ebenso wie Ökologie zum essentiellen programmatischen Spektrum
der Grünen. Ohne diese Themen wäre die grüne Bewegung in den 70er Jahren
nicht zur Partei mutiert. Auf dem Sonderparteitag in Bielefeld soll jedoch
der Krieg im Kosovo erstmals parteipolitisch sanktioniert werden - eine
Herausforderung ersten Ranges für alle Parteimitglieder. Die besondere
Problematik hängt außerdem mit dem schockartigen Rollentausch zusammen.
Die Bündnisgrünen vollziehen den Übergang von der Protestbewegung über
die Oppositionsrolle hin zur Regierungspartei mit Verlusten bei der Anhängerschaft
und programmatischen Zugeständnissen an den Koalitionspartner SPD.
Ein dritter Problemkomplex bezieht sich auf das Demokratieverständnis.
Basisdemokratisch und pluralistisch sollen sowohl der Meinungsaustausch
als auch der Entscheidungsprozeß verlaufen. Flügelkämpfe sind mit offenem
Visier auszutragen. So löblich die Meinungsvielfalt innerhalb der Bündnisgrünen
gerade zum Kosovo-Krieg die Parteienlandschaft bereichert, so schwierig
ist diese Pluralität in Entscheidungsprozesse umzusetzen. Denn für das
Demokratieverständnis sind nicht nur Meinungsvielfalt, sondern auch die
Anerkennung von Mehrheitsregeln entscheidend. Die Mehrzahl der Delegierten
entstammt noch dem Milieu der Anti-Atomkraft und Friedensbewegung. Für
sie galt die Mehrheitsregel als ein Signum der herrschenden Eliten. Viele
der Delegierten der Bündnisgrünen wollen Betroffenheit gegen Mehrheit
setzen. Deshalb wird auch zukünftig jeder Parteitag der Grünen mit immerwährender
Gesetzlichkeit Themen diskutieren, die eigentlich bereits längst entschieden
waren.
Um dennoch die außerordentliche Bundesdelegiertenversammlung von Bielefeld
- so der bewußt umständliche Name, um die Anlehnung an die etablierten
Parteien zu verschleiern - aus Sicht der Parteiführung zum Erfolg werden
zu lassen, sind folgende Fehler zu vermeiden. Sie führten beim Parteitag
von Magdeburg zur Zerreißprobe für die Partei, weil der Vorstand mit seinem
Antrag für Kampfeinsätze zur Friedenserzwingung in Bosnien damals scheiterte.
1. Die Anträge zum Anti-Fischer-Kurs müssen im Vorfeld möglichst mit den
Antragstellern entschärft werden. Das war damals nur teilweise gelungen.
Falls Unterstützungsanträge zum Vorstandskurs fehlen, müssen welche initiiert
werden.
2. Der Antrag des Vorstands muß im Pathos des "einerseits-andererseits"
alle Positionen integrieren und moderieren. Keine Gruppierung, kein Flügel
darf außen vor bleiben, ohne jedoch den Antrag - wie in Magdeburg - sinnentleert
werden zu lassen.
3. Die Fischer Rede zum Eckpunkte-Antrag der Partei reicht nicht aus.
Er muß unmittelbar vor der Abstimmung der Delegierten noch einmal das
Wort ergreifen. Dabei sollte vermieden werden, was in Magdeburg passierte:
Von oben herab wurde das Ende der Debatte verordnet.
4. Während der Debatte und bei der Abstimmung sollten die Flügel der Partei
auf dem Vorstandspodium präsent sein. In Magdeburg fehlte über weite Strecken
Trittin, so daß sich schon optisch der eher linke Flügel nicht angemessen
repräsentiert fühlte.
5. Nach der Antragsphase sollte viel Zeit für offene Diskussionen - auch
für externe Gruppierungen -gelassen werden. Dennoch sollten - anders als
in Magdeburg - auch von Zeit zu Zeit Redner lanciert werden, die sich
zustimmend im Sinne des Antrags des Vorstands äußern.
6. Fischer sollte "Mitbringsel" dabei haben und diese erst kurz vor der
Abstimmung als Heilsbringer preisgeben. Vorstellbar sind: die vage Ankündigung
vom bevorstehenen UN-Mandat für das Kosovo, was er im G-8-Außenministerrahmen
vorverhandelt hat; die weitere Verzögerungstaktik im Hinblick auf die
Entsendung von 150 Fernmeldern, Pionieren und Hubschraubern nach Albanien,
die er bisher dem Verteidigungsminister Scharping nicht zubilligt; die
Erinnerung an Fischers Verhandeln gegen den Ersteinsatz von Atomwaffen
gleich zu Beginn seiner Amtszeit; letztlich auch die Zubilligung durch
den Kanzler, daß die Grünen einen EU-Kommissar stellen werden.
Diese sechs Punkte sichern nicht hundertprozentig den Erfolg des Fischer-Kurses,
doch lassen sich die Chancen steigern, daß Bielefeld kein zweites Magdeburg
wird. Vielleicht sollte der Außenminister auch mit einem Tucholsky-Zitat
seine Rede beginnen: "Sie dachten sie wären an der Macht, aber sie waren
nur an der Regierung". Was Tucholsky damals auf die Sozialdemokratie bezog,
paßt gut auch zu den Bündnisgrünen, die immer noch zwischen Vision und
Machbarkeit taktieren.
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