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Frankfurter
Allgemeine Zeitung vom 16. April 1999
Ein Euro-mediterraner Wirtschaftsraum nützt allen
Die Europäische Union und ihre südlichen Assoziationspartner im Mittelmeerraum
auf dem Weg zur Freihandelszone
Von Sven Behrendt und Christian-Peter Hanelt
Seit beginn der neunziger Jahre verfolgt die Europäische Union (EU)
gegenüber dem südlichen Mittelmeerraum einen neuen strategischen Ansatz:
Mit dem sogenannten "Prozeß von Barcelona", der im November 1995 von den
Außenministern der EU und den Vertretern der zwölf südlichen Mittelmeeranrainerstaaten
ins Leben gerufen wurde, versucht die EU, den politischen und wirtschaftlichen
Dialog mit dem Süden zu intensivieren. Ihr strategischer Ansatz basiert
auf der Errichtung stabiler politischer Strukturen, die Frieden und Sicherheit
garantieren (das ist Korb I der verabredeten Kooperation), dem Aufbau
einer Freihandelszone und der Finanzierung dringend notwendiger wirtschaftlicher
Transformationsprozesse (Korb II), sowie der Intensivierung des Dialoges
über Demokratie und Menschenrechte, aber auch über Ausgrenzung und Rassismus
(Korb III). Das ehrgeizige Ziel des Barcelona-Prozesses ist die Bildung
einer Zone des Friedens, der Stabilität und des Wohlstandes im Mittelmeerraum
bis zum Jahre 2010.
Die ersten Schritte zur Errichtung eines gemeinsamen euro-mediterranen
Wirtschafts- und Kulturraums werden über die Assoziierungen der Länder
des Südens mit der EU vollzogen. Erste Abkommen wurden bereits mit Marokko,
Tunesien, Israel, den Palästinensern und Jordanien abgeschlossen. Über
Abkommen mit Ägypten, Algerien, dem Libanon und Syrien wird gegenwärtig
verhandelt. Mit der Türkei ist bereits eine Zollunion geschlossen worden.
Die Außenministerkonferenz, die im Rahmen des Barcelona-Prozesses unter
deutscher Ratspräsidentschaft gestern in Stuttgart begonnen hat, zieht
eine Bilanz der Arbeit der letzten vier Jahre und formuliert neue Impulse
für die Arbeitsvorhaben bis zum Jahr 2010.
Zentrales Element des Prozesses ist die Errichtung einer Freihandelszone
für Industrieprodukte im Mittelmeerraum, von der man sich all die positiven
wirtschaftlichen und sozialen Folgen erhofft, die ein solches Unternehmen
verspricht. Die Zone würde sich von Irland bis Jordanien, von Finnland
bis Marokko und von Portugal bis zur Türkei erstrecken. Das Wohlstandsgefälle
zwischen Nord und Süd, das sich zur Zeit noch in Disparitäten wie einem
Verhältnis von zehn zu eins in den Pro-Kopf-Einkommen niederschlägt, soll
dadurch abgebaut werden - nicht zuletzt in der Absicht, die Flüchtlingswelle
in die Union über Marokko, Tunesien und die Türkei einzudämmen. Bis 2010
sollen die arabischen Staaten mit europäischer Hilfe ihre nationalen Märkte
öffnen und Wirtschaft und Gesellschaft auf einen nachhaltigen Transformationskurs
steuern; dies ist zumindest geplant. In einem weiteren Schritt wären sogar
die sechs ölreichen arabischen Golf-Staaten in den transmediterranen Wirtschaftsraum
einzubinden.
Die regionale Zusammenarbeit soll gestärkt werden
Gerade Korb II, der die wirtschaftliche Zusammenarbeit regelt, könnte
in diesem Prozeß die größten Impulse setzen: Es geht darum, die großen
Potentiale für Wachstum und Entwicklung zu entfalten, die der Reichtum
an Rohstoffen, Arbeitskräften und Landwirtschaft im Nahen Osten und in
Nordafrika bietet. Dabei soll eine doppelte Strategie den sozioökonomischen
Transformationsprozeß und die Leistungsfähigkeit der südlichen Volkswirtschaften
stärken: Der auf ein Partnerland beschränkte nationale Einsatz verfolgt
den kontinuierlichen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft; der regionale
Ansatz stärkt die intraregionalen und transmediterranen arbeitsteiligen
Produktions- und Handelsbeziehungen.
Der Umbau der Staatswirtschaften zielt auf die Entfaltung lokalen Unternehmertums
und die Entwicklung eines vielfältigen und leidtungsfähigen Privatsektors,
der innenpolitisch gestärkt und international konkurrenzfähig ist. Klein
- und Mittelbetriebe schaffen Arbeitsplätze, die die von hoher Jugendatbeitslosigkeit
betroffenen arabischen Gesellschaften dringend benötigen. Gerade die junge
Generation braucht eine wirtschaftliche Perspektive. Angesichts hoher
Bevölkerungswachstumsraten - sechzig Prozent etwa der Bevölkerung des
Gaza - Streifens sind unter 17 Jahre alt; die Bevölkerung Syriens hat
sich in den letzten fünfzehn Jahren verdoppelt- ist dies allerdings ein
fast aussichtsloses Unterfangen, wenn die trägen Volkswirtschaften keine
Impulse erhalten. Verbesserte Bedingungen besojnders für in- und ausländische
Investoren müssen geschaffen, das umfangreiche und oftmals undurchschaubare
Regelwerk der Vorschriften und Gesetze vereinfacht und Rechtssicherheit
voe Korruption und Vetternwirtschaft gestellt werden. Nur eine Strukturanpassung,
die die staatlichen Finanzierungs- und Steuersysteme reorganisiert und
die Abgaben niedrig hält, ermuntert westliche Investoren, Kapital und
damit technisches Wissen direkt in die relativ kapitalschwachen Märkte
zu steuern. Dies würde auch das dringend benötigte arabische Fluchtkapital
in die Heimatländer zurücklocken. Parallel zu den Transformationsanstrengungen
sind allerdings, ähnlich wie in Osteuropa, beträchtliche wirtschaftliche
und soziale Folgekosten zu erwarten. Die Öffnung der nationalen Märkte
und Deregulierungsmaßnahmen reißen tiefe Löcher in dieb Staatshaushalte
und verursachen soziale Spannungen, wenn beispielsweise Subventionen für
Lebensmittel abgebaut werden. Die Partnerregierungen müssen daher in die
Lage versetzt werden, zusätzliche Einnahmequellen zu erschließen. Der
verbesserte Zugang zu den europäischen Agrarmärkten wäre eine ertragreiche
Möglichkeit hierzu.
Um die sozialen Kosten aufzufangen und den Umbau der Wirtschaften zu erleichtern,
hilft Europa der Region bereits mit Übergangsfristen und Unterstützungsgeldern.Projekte
der Europäischen Investitionsbank helfen etwa in Syrien bei der Modernisierung
des Bankensystems, beim Umweltschutz und in der Tourismusentwicklung.
Außerdem stützen die sogenannten Meda- Programme soziale und ökonomische
Reformen der Partnerländer: Sie helfen insbesondere dem lokalen Privatsektor,
sich zu entfalten, fördern transmediterrane Gemeinschaftsprojekte (Joint-
ventures) gerade für kleinere und mittlere Unternehmen, wie zum Beispiel
durch die Einrichtung von EU- geförderten "Business- Centers", die auch
europäisches technisches Wissen vermitteln.
Geber und Nehmer könnten aber mehr für die Projektvwerwirklichung tun:
Auf EU- Seite sind die langen und komplizierten Wege in der Brüsseler
Bürokratie zu vereinfachen. Auf seiten der Empfängerländer ist die Projektausführung
transparenter und effektiver zu gestalten; damit die Hilfe auch dort ankommt,
wo sie gebraucht wird. Diese Verbesserungen können die Fortschreibung
der Projekte im Rahmen der Meda- 2- Programme bringen, die das auslaufende
Meda- Finanzierungsinstrument ablöst. Um erfolgreich zu sein, ist eine
angemessene finanzielle Ausstattung - Meda stellte den südlichen Mittelmeeranrainern
insgesamt 4,6 Milliarden Ecu über fünf Jahre( 1995-1999) zur Verfügung-
trotz der Diskussionen um mögliche Sparpotentiale im EU - Haushalt dringend
geboten.
Der den Umbau der einzelnen Volklswirtschaften in den Partnerstaaten des
südlichen Mittelmeerraums ergänzende regionale Ansatz des Barcelona- Prozesses
geht von dem Grundgedanken aus, daß sich Kapital und Handel im globalen
Zeitalter große und stabile Märkte suchen. Bei der Ausbildung großer Wirtschaftsräume
stehen Nordafrika und der Nahe Osten jedoch erst am Anfang.
Vom Mahgreb im Westen bis zum Golf im Osten
Zwar sind die bevölkerungsstarken Regionalmächte Ägypten, Türkei, der
Irak, Iran und Saudi-Arabien als einzelne Märkte an sich interessant,
dennoch wäre ein gemeinsamer Wirtshaftsraum, der dengesamten Nahen Osten
un den Norden Afrikas umfaßt, bei weitem attraktiver. Zur Zeit beträgt
der intraregionale Handel lediglich sieben Prozent, dagegen geht beispielsweise
weitaus mehr, nämlich rund 23 Prozent der Exporte etwa der Staaten der
Arabischen Liga, in die EU.
Sicherlich behindern unterschiedliche ökonomische Strukturen und die politischen
und territorialen Konflikte - vom ungelösten Irak-Konflikt bis hin zum
Stillstand im arabisch-israelischen Friedensprozeß - die Zusammenarbeit
und Integration in der Region selbst; dennoch gibt es Szenarien, die regionalen
wirtschaftlichen Verknüpfungen zu vertiefen:
- Die Assoziationsabkommen mit der Europäischen Union ermöglichen den
12 Partnern flexible Kooperation untereinander, uns zwar sowohl sektoral
als auch geographisch: Ägypten, Tunesien und Jordanien haben beispielsweise
verabredet, ihre Außenzölle binnen zehn Jahren schrittweise anzugleichen.
Marokko und Ägypten haben einen Stromverbund vereinbart, Israel und Jordanien
eine Industrie-Freihandelszone gegründet.
- Die Staaten der Arabischen Liga haben seit ihrem Bestehen mehrmals versucht,
größere Wirtschaftsblöcke zu bilden, damit bislang aber keinen Erfolg
gehabt. Dies könnte sich nun ändern: Angehalten durch wirtschaftliche
Zwänge und eben den Barcelona-Prozeß, haben 18 der 22 Mitgliedsländer
der Arabischen Liga beschlossen, bis zum Jahre 2008 alle Handelsbarrieren
abzubauen und die Arabische Freihandelszone Afta zu formieren.
- Die Türkei und Israel nutzen, über die mittlerweile enge sicherheitspolitische
Zusammenarbeit hinaus, die gemeinsame Vertragsstruktur mit der EU für
intensive Wirtschaftskooperation.
- Der finanzwirtschaftliche Strukturwandel in den sechs Petromonarchien
des Golf-Kooperationsrates (Saudi-Arabien, Kuweit, Bahrein, Qatar, die
Vereinigten Arabischen Emirate und Oman) drängt die Regierungen dazu,
den Freihandel zwischen den Ländern des Kooperationsrates voranzutreiben.
Der Kooperationsrat hat verabretet, eine Freihandelszone bis März 2001
zu verwirklichen. Dieser Beschluß bringt neuen Schwung in die Verhandlungen
um die gemeinsame Freihandelszone mit der EU, die eigentlich noch in diesem
Jahr entstehen sollte. Ein Kopromiß in der Frage des Exportes von Erdölprodukten
in die EU wird sicherlich zu finden sein. Der Freihandelsraum, bestehend
aus der erweiterten EU, den Mittelmeeranrainerstaaten und schließlich
den Golf-Ländern, würde dann der größte der Welt.
Politische und wirtschaftliche Stabilität als Ziel
Über die ersten regionalen Ansätze hinaus wird der Aufstieg des Euro zu
einer Weltreservewährung neben Dollar und Yen nicht nur die wirtschaft-
und finanzpolitische Vereinigung Europas stärken, sondern auch seinen
Nachbarregionen signalisieren, ihrerseits einheitliche Finanz-, Handels-
und Wirtschaftszonen zu bilden. Die wirtschaftlichen Vereinbarungen in
den Assoziationsabkommen mit der EU sind Hilfestellung und Wegweiser.
Die Außenministerkonferenz in Stuttgart könnte diese Entwicklungen beschleunigen.
Einen neuen Impuls gäbe zudem der Abschluß des Partnerschaftsabkommens
mit Ägypten, denn derVertrag mit Kairo würde die verbleibenden arabischen
Staaten motivieren, ihre Transformationsanstrengung und die Assoziationsverhandlungen
mit der EU voranzutreiben. Kompomisse über bestimmte Einzelheiten des
Vertrages, etwa über Produktherkunftsbestimmungen oder Quoten für Frühkartoffeln
und Schnittblumen, könnten schneller gefunden werden. Mehr Handel und
Wohlstand bringt mehr sozialen Frieden, entschäfrt Konflikte mit den Nachbarn
und entzieht Extemisten und Islamisten den Boden. Auch die EU-Bürger könnten
davon in ergeblichem Maße profitieren: durch den Rückgang beim "Import"
von Terror und Kriminalität und einen Zugewinn an wirtschaftlicher und
politischer Stabilität.
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