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FAZ vom 14.10.1998

Der Artikel erschien in leicht gekürzter Form.

Kontinuität definieren

Sieben Leitlinien für die Außenpolitik der Berliner Republik

Von Josef Janning


Gerhard Schröder hat Kontinuität in der Außenpolitik versprochen. Das ist gut so und entspricht vernünftiger Tradition deutscher Politik. Dennoch kann Kontinuität nicht einfach nur ein "Weiter so" bedeuten - daraus entsteht kein Gesicht einer neuen Regierung. Schröders Außenpolitik muß vielmehr Kontinuität neu definieren und sichtbare Akzente setzen. Noch trägt die Außenpolitik der Berliner Republik keine Handschrift, die Deutschlands Interessen und Präferenzen, seine künftige Rolle und Verantwortung klar erkennen ließe.

Sieben Initiativen können das Profil der künftigen deutschen Außenpolitik schärfen:

1. Die Handlungsfähigkeit der erweiterten Europäischen Union erfordert einen konzeptionellen Neuanfang: Die Verwirklichung des Euro und der Osterweiterung verlangt die Rekonstruktion europäischer Solidarität und des institutionellen Gefüges. Statt allein weniger zahlen zu wollen, sollte Deutschland darauf hinwirken, daß alle weniger ausgeben, vor allem in der Agrarpolitik; statt die Streubreite der Subventionsgießkanne zu reformieren, sollten konkrete Entwicklungsziele und Modernisierungsprogramme unterstützt werden, statt anschwellende Wasserköpfe in Rat und Parlament hinzunehmen, sollte Deutschland auf effiziente Führungsstrukturen und Entscheidungsverfahren drängen.

2. Als wichtigste außenpolitische Handlungsebene benötigt die Europapolitik Führungsimpulse nach innen und außen. In der Berliner Republik sollte Europapolitik als "Kanzler-Innenpolitik" strukturiert sein. Die in die Zeit Adenauers zurückreichende Konkurrenz von Wirtschafts- und Außenministerium sollte einer klaren operativen Führung durch einen Europaminister im Kanzleramt weichen. Nach außen sollte die Berliner Republik Gestaltungspartnerschaften Vorrang vor traditionellem Bilateralismus geben: Deutschland sollte die Bildung einer handlungsfähigen und handlungswilligen Führungsgruppe stützen, deren Zusammensetzung nicht primär eine Frage der Bevölkerungszahl sein kann. Die besondere Rolle der deutsch-französischen Beziehungen sollte sich nicht an ihrer Vergangenheit, sondern an ihrem Gestaltungsbeitrag für die Zukunft Europas bemessen. Dieselbe Maxime sollte für Großbritannien gelten - es lohnt sich, die Reichweite des britischen Europa-Engagements zu testen.

3. Die Chancen der Globalisierung werden verpaßt, wenn für die Menschen der Verlust an Berechenbarkeit und die Entwertung ihrer Lebensqualität im Vordergrund steht. Die Antwort der Politik auf die Globalisierung der Wirtschaft kann sich nicht im Wettbewerb der Deregulierung erschöpfen. Die umfassende Digitalisierung der Austausch und Kommunikationsbeziehungen und neue technologische Innovationen schaffen neue Wachstumschancen jenseits der heutigen Grenzen - und erzeugen konstruktiven Steuerungsbedarf. Hier liegt die Chance einer Mehrheit undogmatischer sozialdemokratischer Regierungen in Europa: nicht einfach traditionelle Beschäftigungspolitik zu betreiben, sondern eine internationale "public policy" zu entwickeln, die nach neuen Wegen und flexiblen Regelungen für gesellschaftliche Anliegen in der einen Welt sucht.

4. Der Euro wird zur zweiten Weltreservewährung, Die Steuerung seines Außenwerts wird eine Aufgabe der Regierungen sein. Die Außenpolitik der Berliner Republik sollte diese Zäsur nutzen, um die europäische Vertretung in den internationalen Finanzgremien neu zu ordnen. Die Euro-Staaten müssen ihren Einfluß gemeinsam ausüben, um die Augenhöhe mit den Vereinigten Staaten zu halten und ihre Interessen in der Stabilisierung der internationalen Wirtschafts- und Finanzpolitik zu wahren. Zugleich sollte Deutschland Europa in eine Partnerschaftsinitiative mit Amerika führen, die drei Schwerpunkte setzt: einen gemeinsamen Markt, eine Sicherheitspartnerschaft und die Konzertierung der Globalpolitik, die die Bereiche Umwelt, Energie, Migration und nachhaltige Entwicklung umfaßt.

5. Deutschland kann seine Verantwortung für den Frieden nicht hinter den Verbrechen und Verfehlungen seiner Vergangenheit verbergen. Es liegt im eigenen Interesse der Berliner Republik, daß Frieden, Freiheit und Entwicklung, vor allem auf dem europäischen Kontinent nicht gebrochen werden können. Deutschland muß nicht allein handeln, aber es darf sich auch nicht ausschließen. Erfolgreiche Friedenswahrung benötigt ein Mandat - dies kann hilfsweise auch der ausdrückliche Konsens der Demokratien in EU, WEU oder NATO sein. Wer wie Milosevic die massive Verletzung von Menschenrechten betreibt, darf sich nicht auf eine Entscheidungsblockade im Sicherheitsrat durch Rußland oder China verlassen können.

6. Ein Land, das nur von Freunden umgeben ist, braucht keine große Armee von Wehrpflichtigen. Vielmehr muß es bereit und in der Lage sein, seine Interessen und die Sicherheit seiner Nachbarn dort zu verteidigen, wo diese bedroht werden. Die Bundeswehr der Berliner Republik kann sich deshalb über eine Freiwilligenarmee zu einer Berufsarmee wandeln. Ihr Ausrüstungsstand muß mit dem der wichtigsten Verbündeten mithalten können. Als "Armee in der Demokratie" und durch eine konsequente Integration nach dem Muster des Eurokorps besteht keine Gefahr eines "Staats im Staate". Zur Sicherung des europäischen Friedens sollte die deutsche Außenpolitik gemeinsam mit Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden eine sicherheits- und verteidigungspolitische Integrationsinitiative unternehmen, die weiteren EU-Staaten offensteht. Sie kann eine Brücke zwischen der politisch-wirtschaftlichen Integration in der EU und der militärischen Integration in der NATO bilden und dafür sorgen, daß die Komplementarität beider nicht über die Öffnung nach Osten verloren geht.

7. Deutsch zählt nicht zu den klassischen Sprachen der Außenpolitik, und die Bemühungen, sie neben Englisch und Französisch in Europa durchzusetzen, waren ehrenhaft aber untauglich. Darüber wurde die selbstverständliche Kommunikationsfähigkeit im Englischen vernachlässigt - der Sprache des Internet und von CNN. Deutsche Interessen, Deutungen und Schlußfolgerungen sind deshalb international weniger präsent. Die Außenpolitik der Berliner Republik muß diese Vermittlungslücke beseitigen, durch konsequente Zweisprachigkeit ihrer internationalen Akteure und Positionen. Sprachförderung als Teil der auswärtigen Kulturpolitik behält ihren Sinn: Sie soll neugierig machen auf dieses Land und seine Menschen. Sie wird dagegen nicht ausreichen, einen genügend großen Teil der globalen "brain-migration" nach Deutschland zu ziehen - dazu ist eine internationale Ausrichtung der Bildungs- und Forschungsstätten unerläßlich. Internationalität beginnt zuhause.

Im politischen und wirtschaftlichen Zentrum des neuen Europa gelegen, kann die Außenpolitik der Berliner Republik nicht dem Muster europäischer Kleinstaatendiplomatie folgen. Große Staaten müssen ihre Interessen und Präferenzen erkennbar darlegen - dies schafft Erwartungssicherheit bei den Partnern und Nachbarn. In anderen Zeiten hat die Politik dazu Doktrinen entwickelt - die neue Regierung sollte Maximen ihrer Außenpolitik formulieren, die ihre Grundposition erläutern. Analog zum Bericht der Wirtschaftsweisen sollte die Bundesregierung die führenden außenpolitischen Institute jährlich um einen "Bericht zur Lage Deutschlands in Europa und der Welt" bitten.


   
           
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