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Focus
vom 12.10.1998
Alarmstufe gelb
Rot-Grün verteilt die Macht in der Außenpolitik neu. Zieht
ein Staatsminister für Europa ins Kanzleramt?
Der 4794 Meter hohe Vulkan Pichincha drangsaliert die deutschen Diplomaten
in Ecuadors Hauptstadt Quito. Ein Ausbruch droht - die Behörden ordneten
Alarmstufe gelb an. Vergangene Woche flüchteten die Deutschen in
ein Hotel am Stadtrand: Mit Laptop und Satellitenkoffer laufen die Geschäfte
in Südamerika weiter.
Krisenstimmung zieht auch auf über der heimischen Zentrale, dem Bonner
Auswärtigen Amt. Michael Naumann, designierter Kulturminister in
Schröders Regierungsmannschaft, will die internationale Kulturpolitik
übernehmen. SPD-Parteichef Oskar Lafontaine spekuliert auf ein Superministerium
aus Finanzen, Wirtschaftsabteilungen und Europakompetenzen aus Kinkels
Erbmasse. Erst vor einigen Wochen wurde die Europaabteilung dort neu konzipiert.
Für einen grünen Außenminister Joschka Fischer blieben
zum Beispiel nur noch Beziehungen zu Nicht-EU-Mitgliedern und die Botschaften.
Schwer vorstellbar, daß sich der Machtmensch die Verantwortung dort
rauben läßt, wo er sich am besten auskennt. Noch vor dem Abflug
mit Schröder in die USA verweigerte sich Fischer als "Grüßonkel".
An diesem Montag kommt es zum Schwur: SPD und Grüne verhandeln über
Europapolitik und wer was in welchem Ministerium bestimmen darf.
Das Außenministerium steht mittlerweile im scharfen Wettbewerb:
Mit außen- und europapolitischen Fragen befassen sich auch 250 Arbeitseinheiten
anderer Ministerien. Von 11,8 Milliarden Mark, die der Bund 1996 für
Auswärtiges ansetzte, entfiel nur ein knappes Drittel auf die klassische
Diplomatenheimat.
Wie deutsche Außenpolitiker in einem komplizierten Entscheidungsgeflecht
um einheitliche Positionen kämpfen, belegt ein neues Buch: Rechtzeitig
zur Regierungsbildung legte die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige
Politik (DGAP) eine Schwachstellenanalyse vor. Die Strukturen deutscher
Europapolitik "erscheinen oft komplex und teilweise nur historisch
erklärbar", kritisiert dort Werner Hoyer (FDP), bisher Staatsminister
im Auswärtigen Amt.
Immer intensiver müssen sich die Diplomaten darum kümmern, die
Ressortegoismen anderer Häuser unter einen Hut zu bringen: Karl Kaiser,
Direktor des DGAP-Forschungsinstituts und Schröder-Berater, fürchtet,
daß das Auswärtige Amt sich in der "Koordinierungsfalle"
verheddert.
Minister und Fachleute hetzten einer wachsenden Zahl von Konsultationen
und Gremiensitzungen hinterher. Gleichzeitig verwenden sie viel Zeit,
um die Außenkontakte der Fachministerien abzustimmen. "Die
Schere zwischen zunehmenden Aufgaben des Auswärtigen Dienstes und
immer knapperen personellen und finanziellen Ressourcen hat sich gefährlich
geöffnet", klagt Hans-Friedrich von Ploetz, Kinkels Staatssekretär.
Vierzig neue Missionen von Tallinn in Estland bis Almaty in Kasachstan
eröffnete die Bundesrepublik seit 1990, die Stellenzahl erhöhte
sich nicht. Die USA und Frankreich beschäftigen deutlich mehr Personal
im Auswärtigen Dienst.
Die deutsche Außenpolitik ist längst nicht mehr aus einem Guß:
Am Brüsseler Verhandlungstisch zerfasert sie mitunter.
Die Revision des Maastricht-Vertrags schadete am Ende sogar der deutschen
Glaubwürdigkeit. Kanzler Helmut Kohl uns Außenminister Klaus
Kinkel hatten klarere Entscheidungsmechanismen in den EU-Gremien verlangt.
Die Entscheidungsblockade "Einstimmigkeit in der EU" sollte
fallen. Solches wollten deutsche Fachbeamte aber immer nur den fremden
Ressorts zumuten, ihr eigenes ausnehmen.
Interessenkollision: Entwicklungshilfeminister Carl-Dieter Spranger (CSU)
wollte sich die Gelder einer Mitgliedschaft in der UNIDO (UN-Organisation
für industrielle Entwicklung) sparen. Kinkel befürchtete, daß
der Austritt Entwicklungsländer vergrätzen könnte - von
denen man sich Stimmen für einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat
erhoffte. Kinkel setzte sich durch.
Die härteste Konkurrenz der Diplomaten sitzt im Kanzleramt. Eine
Pleite erlebte Kinkel, als er für eine gemeinsame Resolution der
EU-Staaten gegen Menschenrechtsverletzungen in China eintrat. Frühere
Menschenrechtsberichte beruhten auf deutschen Initiativen. Doch Kanzler
Kohl wollte keine Belastungen der Beziehungen mit China. Die Deutschen
verzichteten auf eine Verurteilung.
Im Sommer brachte ein Alleingang des Kanzlers Kinkel wieder in Erkärungsnot:
Von der gemeinsamen Initiative seines Regierungschefs mit den französischen
Präsidenten Jacques Chirac gegen den Brüsseler Zentralismus
erfuhr Kinkel erst mit Verspätung und stand düpiert vor Journalisten
in Luxemburg.
Pannenhilfe aus München: "Vorschläge
zur Effektivierung" der deutschen Europapolitik stellen das Centrum
für angewandte Politikforschung (CAP) und die Bertelsmann Wissenschaftsstiftung
an diesem Dienstag in Bonn vor.
Vor allem die bisherige Doppelzuständigkeit von Außen- und
Wirtschaftsministerium für Europapolitik stört den Verfasser
Josef Janning. "Deutschland hat doch konkrete Gestalungsinteressen
in der EU", betont der 42jährige Leiter der Forschungsgruppe
Europa am CAP, "deshalb muß es eine Führungsrolle suchen."
Janning hat im Auftrag des Auswärtigen Amts bereits den Entwurf für
das Programm der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 1999 entwickelt.
Während Kaiser in seinem Buch auf die alte Struktur setzt, fordert
Janning eine radikale Neuordnung.
Alle Macht dem Kanzleramt: Ein "Staatsminister für europäische
Integration" soll ins Kanzleramt einziehen. Der Stab dieses Staatsministers
würde die gesamte EU-Politik koordinieren - ein herber Verlust an
Einfluß für das Auswärtige Amt. In anderen EU-Staaten
liegt die Europapolitik in den Händen der Außenminister. Werner
Weidenfeld, CAP-Chef und deutsch-amerikanischer Koordinator im Außenministerium,
unterbreitete dem künftigen Kanzler Schröder das Konzept.
Dem neuen Europa-Mann soll auch die Ständige Vertretung der Bundesrepublik
bei der EU direkt unterstehen: Bis jetzt kommt ihr Leiter aus dem Auswärtigen
Amt, sein Vertreter aus dem Wirtschaftsministerium. Die Revierabgrenzung
der beiden Ressorts in der Europapolitik reicht auf eine Vereinbarung
von Außenminister Heinrich von Brentano und Ludwig Erhard im Jahr
1958 zurück.
Weiter soll ein echter EU-Ausschuß den alten EU-Unterausschuß
im Bundestag ablösen - nach Jannings Worten bisher "nur ein
Anhängsel". Von einer Ständigen "Enquetekommission
Europäische Union" aus Wissenschaftlern, Politikern, Richtern
und Interessenvertretern erwartet er sich weitere Impulse.
Sogar am Heiligsten im Tempel des bundesdeutschen Föderalismus rührt
der Politikberater. Die Macht der Bundesländer sei zu beschneiden:
"Der Ländereinfluß ist auf regionale und nachbarschaftliche
sowie struktur- und wirtschaftspolitische Aspekte zu konzentrieren."
Gleichzeitig müsse die Bundesregierung die Länder aber frühzeitig
informieren. Die Leitidee: "Deutschland muß in Europa mit einer
Stimme sprechen können."
E. Grosskinsky/H. Kistenfeger
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